“Ein derartiges Machtinstrument in der Hand einer rechtskonservativen Partei muss kritisch betrachtet werden”

Ein wichtiges Instrument im Kampf gegen “religiös motivierten politischen Extremismus” soll Österreichs neue “Dokumentationsstelle Politischer Islam” sein. Das sagt zumindest die ÖVP.

Der Wiener Politik- und Islamwissenschaftler Rami Ali sieht das kritischer. Er befürchtet, die Einrichtung soll genutzt werden, um unliebsame muslimische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Ich habe mit im gesprochen.

Rami Ali ist Politik- und Islamwissenschaftler. An der Fachhochschule Campus Wien forscht und lehrt er zu den Themen Islam, Integration, Diskriminierung, Radikalisierung und Extremismusprävention. Foto: privat.

Die “Dokumentationsstelle Politischer Islam” will sich “unabhängig und wissenschaftlich mit der gefährlichen Ideologie des politischen Islam auseinandersetzen”. Klingt nach einem lobenswerten Vorhaben. Was hast du dagegen?
Rami Ali: Ich habe prinzipiell immer etwas dagegen, wenn wichtige und komplexe Themen mit gesellschaftlicher Relevanz, die eigentlich Feingefühl und Kompetenz in ihrer Bearbeitung voraussetzen würden, von Politikern für eigene Zwecke und politische Agenden missbraucht werden.

Wer die Islampolitik der ÖVP und die Rhetorik gegenüber muslimischen Bürgern in den letzten Jahren verfolgt hat, der kann unmöglich zu dem Schluss kommen, dass die ÖVP an einer sachlichen und differenzierten Debatte über den “politischen Islam” interessiert ist.

Die ÖVP betont allerdings, dass die Dokumentationsstelle wissenschaftlich unabhängig arbeiten soll.
Der ÖVP fehlt jegliche Glaubwürdigkeit, wenn es um wissenschaftliche Unabhängigkeit geht. Ich erinnere an die sogenannte Kindergartenstudie, die nachweislich frisiert wurde oder an die politische Instrumentalisierung einer nicht-repräsentativen, methodisch schwachen Studie, die mitten im Wahlkampf präsentiert wurde und von der Rolle der Moscheen im Integrationsprozess handelte. In beiden Fällen standen die Studienautoren der ÖVP nahe.

Es würde auch ein Blick auf den Österreichischen Integrationsfond reichen, der sich in den letzten Jahren zu einem Propagandainstrument der ÖVP entwickelt hat und erst neulich wieder einen skandalösen Forschungsbericht veröffentlicht hat, der in akademischen Kreisen als Schulbeispiel für ein Maximum an Verzerrung gewertet wird. Der Umgang der ÖVP mit diesen Thematiken und ihre Strategie in Bezug auf die pseudowissenschaftliche Legitimierung politischer Agenden in der Vergangenheit sprechen eine deutliche Sprache.

“Es herrscht berechtigterweise grundlegendes Misstrauen gegenüber Kurz und der ÖVP”

Was genau sollen eigentlich die Aufgaben der Dokustelle sein?
Das ist eine Frage, auf die zu Beginn nicht einmal die Initiatoren eine Antwort hatten, was dementsprechend auch viel Kritik eingebracht hat. Kommuniziert wurde zu Beginn ein “Mapping” islamischer Vereine und Netzwerke. Auf welcher Grundlage das passieren solle, ist nicht klar geworden. Ebenso wenig wie der Unterschied zur Arbeit des Verfassungsschutzes.

Die anfängliche Unklarheit in Bezug auf die Aufgaben und der Arbeitsdefinition bestätigen wieder, dass es der ÖVP nicht um den Inhalt geht, also um eine fundierte Auseinandersetzung damit, sondern um die Verpackung, um den Show-Effekt eines solchen Vorhabens und dem intendierten Monopol auf den “Kampf gegen den politischen Islam”, welcher auch nicht definiert wurde.

Wie hat die muslimische Community auf die Einrichtung reagiert und werden sich islamische Organisationen an der Arbeit beteiligen?
Ich kann und möchte nicht für muslimische Communitys sprechen, aber der Tenor war doch recht deutlich in Richtung vehementer Ablehnung. Für viele ist der Schritt die (logische) Folge der Islampolitik der ÖVP der letzten Jahre und sie sehen darin die Institutionalisierung der Ungleichbehandlung gegenüber Muslimen – insbesondere auch deshalb, weil aus den ursprünglichen Ideen einer Dokumentationsstelle für religiös begründeten politischen Extremismus die Dokustelle für Politischer Islam wurde.

Da kann man noch so oft betonen, dass es hierbei nicht um den Islam per se ginge. Es herrscht berechtigterweise grundlegendes Misstrauen gegenüber Kurz und der ÖVP, schließlich hat man die vergangenen Jahre ja nicht geschlafen.

“Im Kampf gegen das, was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist, werden sämtliche Mittel legitim”

Wen oder was versteht die Dokustelle eigentlich unter “politischer Islam”?
So absurd das auch klingt, aber das wissen die Dokustelle bzw. die Initiatoren auch nicht. Das ist auch einer der zentralsten Kritikpunkte. Es wäre wesentlich redlicher und auch wissenschaftlich besser vertretbar gewesen, einen neutralen Titel für die Dokustelle zu wählen und in einem ersten Schritt dann eine Arbeitsdefinition festzulegen.

Das wäre auch für den sozialen Frieden förderlicher gewesen und würde die Stigmatisierung von Muslimen nicht weiterhin befeuern. Ein solcher Zugang würde aber voraussetzen, dass die ÖVP an einer differenzierten Debatte diesbezüglich interessiert ist. Die ÖVP entschied sich aber ganz bewusst für diesen Weg, um sich weiterhin als “harte Hand” gegen Muslimen zu inszenieren.

So manifestiert sich das Bild des Islams als etwas, wogegen es eine staatliche Institution zur Überwachung braucht. Das verstärkt mitunter die gesellschaftliche Skepsis gegenüber islamischen Einrichtungen. Besonders wirkmächtig ist dieser Frame vom “Kampf gegen den politischen Islam” auch deshalb, weil er begleitet wird vom Narrativ des gefährlichen und heimtückischen politischen Islam, welcher stets im Geheimen agiere.

Im Kampf gegen das, was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist, werden sämtliche Mittel legitim, um die “Gefahr” einzudämmen. Dafür gibt es dann auch Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft, weil der kritische Instinkt gegenüber einer derart übermächtigen staatlichen Institution, die nun vermag festzulegen, welche Organisationen “gefährlich” sind und welche nicht, aufgrund der Angst vor der postulierten “heimtückischen Gefahr”, schwindet.

“Im österreichischen politischen Diskurs hat der ‘politische Islam’-Begriff fast nahtlos an ‘den Islam’ angeschlossen.”

In den letzten Jahren kursierten immer wieder andere Begriffe, um auf Probleme unter Muslimen aufmerksam zu machen: Dschihadismus, Extremismus, Salafismus, Islamismus… Wozu jetzt der Begriff “politischer Islam”?
So neu ist der Begriff nicht. In der Wissenschaft kommt er zwar seltener vor, aber wenn dann meist als Synonym zu Islamismus wenngleich ich die Wortschöpfung “politischer Islam” für problematisch halte, insbesondere dann, wenn sie – ohne das Gemeinte näher zu erläutern – in öffentlichen Debatten verwendet wird.

Ich behaupte aber, dass gerade die Diffusität des Begriffs und die semantische Unklarheit vielen von denen, die ihn nutzen, recht gelegen kommt. Im österreichischen politischen Diskurs hat der “politische Islam”-Begriff fast nahtlos an “den Islam” angeschlossen. Die ÖVP, die sich geläuterter geben möchte als eine FPÖ, die einst “Daham statt Islam” plakatierte, kann mit ihrem Framing des “Kampfes gegen den politischen Islam” im rechten Wähler-Teich fischen.

Der Begriff “politischer Islam” erlaubt ihnen dabei einen Generalverdacht gegen Muslime und ihre Einrichtungen, lässt dabei aber eine Hintertür offen, um sich dem Rassismusvorwurf zu entziehen, schließlich würde man nur bestimmte Muslime meinen. Dass das selbstverständlich nicht so rezipiert wird, das weiß die ÖVP, wie sie auch weiß, dass der populistische Umgang mit Thema Stimmen bringt.

“I can’t believe what you say because I see what you do”

Es könnte doch aber auch sein, dass es der ÖVP wirklich um die Bekämpfung extremistischer Ideologien geht. Was macht dich so skeptisch?
Im Regierungsprogramm der aufgelösten Koalition zwischen FPÖ und ÖVP finden sich Begriffe wie “politischer Islam”, “Islamismus” und “islamistischer Extremismus” insgesamt 21 Mal. Andere extremistische Ideologien, etwa der grassierende Rechtsextremismus, wurden in dem Programm kein einziges Mal erwähnt.

Es ist kein Zufall, dass man in der politischen Kommunikation immer wieder einen fliegenden Wechsel zwischen “Islam”, Muslimen” und “politischer Islam” beobachten kann. Wolfgang Sobotka (ÖVP), der Nationalratspräsident richtete neulich seine Forderung nach einem Bekenntnis zur österreichischen Verfassung und zum Rechtsstaat nicht an die Anhänger des politische Islams, sondern an Muslime per se.

Auf Veranstaltungen des ÖVP nahen ÖIFs sind oft Gäste eingeladen, die das Kopftuch als “Zeichen des politischen Islam” werten. Interessierte Bürger, die das mitbekommen, sehen auf der Straße dann nicht Musliminnen mit Kopftuch, sondern Subjekte, gar Trägerinnen einer “gefährlichen Ideologie”.

Integrationsministerin Raab beteuert nun aber, man wolle “zwischen dem Islam als Religion und der gefährlichen extremistischen Ideologie des politischen Islam zu unterscheiden”. Nochmal: Wie kannst du dir sicher sein, dass es die ÖVP in diesem Fall nicht doch ernst meint?
“I can’t believe what you say because I see what you do”, hat James Baldwin einst gesagt. Wenn die ÖVP auch bei dieser Stelle so handelt wie gewohnt, dann haben wir es mit einer übermächtigen staatlichen Institution zu tun, die fortan bestimmt, was und wer unter “politischer Islam” fällt und wer nicht.

“All das bestärkt die Befürchtung, dass die Stelle in Zukunft dafür genützt werden könnte, unliebsame, kritische muslimische Stimmen zum Schweigen zu bringen”

Ein derartiges Machtinstrument in der Hand einer rechtskonservativen Partei muss kritisch betrachtet werden. Gerade wenn man sich ansieht, wer als Berater herangezogen wurde, und wer mitgewirkt hat. Da sind zum Teil Leute dabei, die in der Vergangenheit maßgeblich an der Diffamierung muslimischer Akteure beteiligt waren, etwa Lorenzo Vidino, dem man vollkommen unkritisch gegenübersteht, weil er das liefert, was ins Narrativ des gefährlichen, heimtückischen politischen Islams passt.

Dass er in der Vergangenheit Interviews an rechtsextreme Magazine gab, die rechtsextreme Mär des “großen Austausch” vertrat und anti-muslimische Verschwörungstheoretiker wie Udo Ulfkotte, welcher in einem Interview Muslime in Deutschland als “Heuschrecken” bezeichnete, ihre Deportation forderte, und anderer Stelle die mangelnde Hygiene türkischer Frauen als Grund für den Ausbruch der e.coli-Bakterien nannte, als “Experten” interviewte, das wird hingenommen.

All das bestärkt die Befürchtung, dass die Stelle in Zukunft dafür genützt werden könnte, unliebsame, kritische muslimische Stimmen zum Schweigen zu bringen oder unbegründete Vorstöße gegenüber muslimischen Einrichtungen zu legitimieren.

Ich erinnere an die Moscheeschließungen, welche ebenso mit dem “Kampf gegen den politischen Islam” präsentiert wurden, obwohl es formale Angelegenheiten waren. Das Wiener Verwaltungsgericht erklärte die Schließung dann für rechtswidrig.

Für die Unabhängigkeit und fachliche Kompetenz soll neben Vidino der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide sorgen. Was hältst du von der der Besetzung?
Das Phänomen des Islamismus ist meiner Meinung nach eine jener Materien, die transdisziplinär bearbeitet werden müssen. Soziologische und politikwissenschaftliche Expertise hielte ich im Kontext dieses Vorhaben für wichtiger. Die islamwissenschaftliche Perspektive schadet aber sicher nicht.

Khourchide hätte, als jemand, der sich mit der islamischen Glaubenslehre auskennt, das Potential die Auseinandersetzung mit dem Thema zu versachlichen. Zu seiner Unabhängigkeit möchte ich nicht viel sagen. Er ist ein gern gesehener Gast bei ÖVP-Veranstaltungen und hat in der Vergangenheit das ein oder andere Mal eine Lanze für Sebastian Kurz gebrochen. Ich möchte ihm dennoch keine Abhängigkeit unterstellen, weil ich nicht mit Gewissheit sagen kann, ob er die Entwicklungen in der österreichischen Politik und insbesondere die Positionen der ÖVP in der Vergangenheit mitbekommen hat.

“Generell würde ich mir auch ein konsequentes Vorgehen gegen Rechtsextreme wünschen und nicht nur dann, wenn diese türkische Wurzeln haben.”

Im Regierungsprogramm hatte es noch geheißen, die Dokumentationsstelle werde sich mit religiös motiviertem Extremismus und Rechtsextremismus auseinandersetzen. Würdest du eine Dokustelle, die sich mit allen Formen von Extremismus beschäftigt, unterstützen?
Warum nicht, solange diese weisungsfrei und unabhängig ist? Bis jetzt wird diese Arbeit von NGOs gemacht, die oft ehrenamtlich arbeiten oder spendenfinanziert sind.

Nun gibt es tatsächlich auch Probleme mit Muslimen in Österreich. Im Juni gingen z.B. in Wien türkeistämmige junge Männer auf Kurden und Polizisten los. Was spricht dagegen, solche Konflikte mit staatlicher Finanzierung wissenschaftlich zu untersuchen, um sie dann besser lösen zu können?
Ich möchte hier schon gerne präzisieren, dass es sich hierbei vorwiegend um junge Männer aus den Reihen der rechtsextremen Grauen Wölfe handelte. Generell spricht nichts dagegen, solange diese wissenschaftlichen Untersuchungen nicht tendenziös sind und für politisches Getrommel missbraucht werden, was dann erst recht zu einer Stigmatisierung der Betroffenen und einer Vergiftung der Debatte führt. Das passiert leider oft.

Dennoch wäre, in diesem Fall, eine wissenschaftliche Untersuchung ohne zielgruppengerechte Maßnahmen wertlos. Vielmehr braucht es eine Mischung aus Forschung, Jugend,-Sozial,- und Burschenarbeit sowie bildungsspezifischen Maßnahmen. Und es braucht eine kritische Reflexion der eigenen Integrationsarbeit der letzten Jahre, für die ironischerweise die ÖVP verantwortlich ist.

Denn es gelang offenbar nicht, ein kollektives “Wir” zu vermitteln, was im Hinblick auf die ausgrenzende politische Rhetorik gerade gegenüber türkischstämmigen Menschen in Österreich nicht verwunderlich ist.

Stattdessen sind diese jungen Männer empfänglich für das “Wir”-Narrativ Erdogans, das eine konstruierte Identität bietet. Generell würde ich mir auch ein konsequentes Vorgehen gegen Rechtsextreme wünschen und nicht nur dann, wenn diese türkische Wurzeln haben.

2 Kommentare On “Ein derartiges Machtinstrument in der Hand einer rechtskonservativen Partei muss kritisch betrachtet werden”

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