Händeschütteln und Schweinefleisch: Auf der Suche nach Europas Werten

In der Geschichte islamischer Eroberungen spielte das schweizerische Therwil eine bisher eher untergeordnete Rolle. Die Türken kamen einmal bis auf 700 Kilometer heran an das Dorf im Süden von Basel. Aber das ist nun auch schon über 300 Jahre her. Auch aus abendländischer Perspektive verbringen die 10.000 überwiegend christlichen Einwohner ein eher unbeachtetes Dasein. Selbst in der Schweiz dürften viele den Ort mit drei Straßenbahnhaltestellen und einer Postleitzahl nicht kennen. Allenfalls der schweizerische Rekordmeister „Therwil Flyers“ brachte es zu etwas überregionaler Bekanntheit. Aber wer interessiert sich im Abendland schon für Baseball?.

Seit zwei Wochen ist nun alles anders. Quasi von einer Schulstunde zur nächsten wurde Therwil zum Schlachtfeld im Kulturkampf zwischen Okzident und Orient. Der Bruchlinienkonflikt, vor dem Samuel Huntington in seinem „Kampf der Kulturen“ so eindringlich warnte, verläuft nun genau durch ein Klassenzimmer der Therwiler Sekundärschule. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, verfolgt man die Reaktionen auf die Ereignisse um eine Lehrerin, zwei Schüler und drei sich nicht berührende Hände.

Handschlagsverweigerung rangiert nur knapp hinter Terroranschlag

„Eine Kampfansage an unsere Ordnung“ stelle der Nicht-Handschlag der muslimischen Schüler dar, befand der CDU-Bundestagsabgeordnete Phillip Lengsfeld. „Schweiz ohne Gott“ prophezeite eine Talkshow zur Handschlagdebatte im Schweizer Fernsehen. Weltweit berichteten Medien über die Ablehnung christlich-westlicher Werte und islamische Frauenverachtung, die aus den Therwiler Klassenzimmer ausgehe. Auf der gefühlten Skala islamistischer Bedrohungen rangierte die „Handschlagverweigerung“ schon bald nur noch knapp hinter einem Terroranschlag des IS.

An dieser Stelle weist der Kolumnist in der Regel auf die Übertriebenheit der jeweiligen Debatte hin. Zum Beispiel so: Selbst unter konservativen Muslimen ist das Verweigern des Nichthandschlags ein absolutes Minderheitenphänomen. Oder so: Unter Handschlaggegnern befinden sich gleichermaßen Frauen wie Männer. Nicht nur muslimische, sondern auch jüdisch-orthodoxe. Und sogar die Scharia des Abendlandes – der alte Knigge – rief Männer dazu auf, Frauen nicht unaufgefordert die Hand entgegenzustrecken.

Von welcher Toleranz ist eigentlich die Rede, wenn wir nicht einmal die Spleens zweier pubertierende Schüler ertragen können?

Aber um solches Bagatellisieren soll es in dieser Kolumne nicht gehen: Denn: Ja, wie wir mit Handschlägen und Nicht-Handschlägen umgehen, ist eine Frage europäischer Werte. Und diese Frage lautet so: Von welchem europäischen Wert der Toleranz ist eigentlich andauernd die Rede, wenn wir nicht einmal das Verhalten zweier pubertierende Schüler in irgendeiner Schweizer Schule ertragen können?

Ja, Therwil ist das Symbol eines Kulturkampfes. Aber seine Bruchlinie verläuft nicht zwischen patriarchalischen Islam und aufgeklärtem Westen. Der „Kampf der Kulturen“ findet statt zwischen der Idee eines Europas, in dem jedermann frei seine Religion ausleben kann und dem chauvinistischen Anspruch, die kulturelle Homogenität auch noch in der hintersten Ecke eines jede Klassenraums durchzusetzen.

Das Kopftuch muss ab! Die Vorhaut bleibt dran!

Mit der Toleranzbereitschaft saudischer Religionspolizisten sucht in Europa eine immer größer werdende Zahl von Sittenwächtern unnachgiebig sämtliche Moscheen, Kitas und Aldi nach immer belangloserer Anzeichen von Unvereinbarkeit mit einer erfundenen abendländischen Mehrheitskultur ab. Neu ist dieses Phänomen freilich nicht. Nur waren bis vor einigen Monaten noch rechte Islam-Hasser-Blogs zuständig für die Berichterstattung über den Anteil an Halal-Salami beim Discounter.

Heute genießt die „Muslim im Schwimmbad“-Berichterstattung in vielen Tageszeitungen schon fast Ressort-Status. Mindestens einmal pro Woche wird in irgendeiner Lokalzeitung das Ende staatlicher Neutralität verkündet, weil in der örtlichen Universität Spuren von Gebetsteppichen gefunden wurden. Auf jede europäische Burka-Trägerin dürften mittlerweile ein Dutzend Politiker kommen, die ihre Entschleierung fordern.

Die Liste jenes Kulturplunders, der regelmäßig zum unveräußerlichen Kern abendländischer Zivilisation verklärt wird, ist so lang wie willkürlich: Zu wenig Schweinefleisch in der Kita? Zu viele Flüchtlinge in der Sauna? Hat da jemand Winterfest gesagt? Das Kopftuch muss ab! Die Vorhaut bleibt dran! Man fragt sich, wo Muslime denn noch ihre viel zitierte europäische Religionsfreiheit ausleben sollen, ohne ausgegrenzt, stigmatisiert und bevormundet und zu werden: In gläsernen Hinterhofmoscheen, in der der staatliche bestellte Imam abwechselnd aus dem Grundgesetz liest und sich von allen Terrorakten der Welt distanziert?

Nur die kopftuchtragende Putzfrau ist kein Problem

Mit echten Werten, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, dem Bekenntnis zu einer liberalen, toleranten und vielfältigen Gesellschaft hat dieses „Das haben wir schon immer so gemacht“ nichts zu tun. Um das zu erkennen, braucht man nicht einmal die symbolische Schule zu verlassen. Wie oft werden emanzipierte, gebildete Lehrerinnen öffentlich problematisiert, weil sie sich dazu entschieden haben, ihre Haare zu verdecken? Die kopftuchtragende Putzfrau der Schule schaffte es hingegen noch nie in die Schlagzeilen.

Da kann der Sexualkundelehrer noch so eindringlich junge Mädchen dazu ermuntern, im Zweifel laut „Nein“ zu sagen, wenn jemand die von ihnen selbst definierten Grenzen der Intimität überschreitet. Am Nachmittag muss das Gebot „Euer Körper gehört euch“ dennoch gegen den Badeanzug im Schwimmunterricht eingetauscht werden. Und auch die beiden Therwiler Schüler würden das Konzept der Geschlechtergerechtigkeit beim Wandertag mit ihren Mitschülerinnen wahrscheinlich eher verstehen, als in ihrer jetzigen Rolle als sozial geächtete Sonderlinge, die nur noch in der Moschee ihres Vaters Anschluss finden.

Eine Bekundung des Respekt gegenüber dem anderen Geschlecht, sei das Verweigern des Handschlags. Man mag die Begründung der beiden Schüler und der anderen Handschlaggegner genauso hinterfragen, wie den pauschalen Vorwurf der Respektlosigkeit ihrer Kritiker. Aber zumindest in einer Frage haben dennoch alle Beteiligten recht: Am Ende geht es in dieser Debatte um Respekt – nicht nur gegenüber Lehrerinnen.


Das Schweinebild stammt vom U.S. Departement of Agriculture und steht unter einer CC2.0-Lizenz

2 Kommentare On Händeschütteln und Schweinefleisch: Auf der Suche nach Europas Werten

  • Pingback: Handschläge um die es keine Debatte gibt | Schantall und die Scharia ()

  • komisch,jetzt schüttelt man sich aufgrund von Corona auch nicht mehr dieHände und niemand regtsich darüber auf. Aber wenn ein Muslim oder eine Muslima einen auf seine eigene kulturelle Art und Weise begrüßt, was nicht das Händeschütteln einbezieht,dann ist das Geschrei groß. Eine andere Kultur, eine uns bereichernde Kultur mit einer anderen Art der Begrüßung. Was ist daran so schlimm? Wer sich darüber aufregt, sind die weißen Biodeutschen, die alles ablehen, was nicht in ihre Stammtisch-Kultur passt. Kurz gesagt Islamophobie!!

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