Hanau und die Medien: Zwischen #SayTheirNames und Täterpropaganda

“Milieutat”, “kriminelle Shisha-Bars”, Ignoranz gegenüber den Opfern… Nach den Attentaten von Hanau offenbarten viele Medien ihren eigenen Rassismus. Einige Redaktionen versuchen es hingegen besser zu machen.

Nur wenige Minuten war der Anschlag her, da berichtete BILD bereits „live vom Ort des Geschehens“. „Aus gut unterrichteten Quellen“ wisse man, „dass es sich bei den Tätern um Russen handeln könnte“, erklärte der Reporter. Ein Kollege pflichtet ihm bei. Es gebe Hinweise auf „organisierte Kriminalität, Schutzgelderpressung, Kampf um Drogenhandel“. Die Hinweise von Anwohnern, dass es sich beim Täter um einen Rechtsextremisten handle? „Reine Spekulation“. Dafür sei es „viel zu früh.“

https://twitter.com/goldi/status/1230420908625539072

Wie es besser geht, zeigte am übernächsten Morgen der Hanauer Anzeiger: Eine Kerze auf einer ansonsten komplett schwarzen Titelseite. Dahinter zehn Seiten sachliche und sensible Berichterstattung, die nicht den Täter und seine Propaganda, sondern das Leid der Opfer und die Anteilnahme in der Stadt in den Vordergrund rückt. „Die Redaktion hat den Opfern ein Gesicht und Würde gegeben“, urteilte anderthalb Jahre später die Jury eines Lokaljournalistenpreises.

Der Hanauer Anzeiger zwei Tage nach dem Attentat

BILD und der Hanauer Anzeiger sind zwei von vielen Beispielen, die zeigen: Auf die Frage nach Hanau und den Medien kann es nicht die eine, sondern nur viele Antworten geben. Während manche Journalisten will herumspekulierten, sortierten andere ruhig die Fakten. Während einige Medien sich zum Sprachrohr des Täters machten, gaben andere den Opfern eine Stimme. Während einige Medien schnell zum nächsten Aufreger übergingen, berichteten andere Medien auch Monate und Jahre später noch. Während einige Medienschaffende Stereotype bedienten, nahmen andere das Attentat zum Anlass, selbstkritisch über ihre eigene Zunft zu diskutieren.

Wie Medien Shisha-Bars als Feindbild markierten

Die Wechselwirkung von den Attentaten in Hanau und medialer Berichterstattung beginnt nicht erst am 19. Februar 2020. Rassistisch motivierte Morde fallen nicht vom Himmel. Sie sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Klimas. Zu einem Klima, in dem Migranten als Feinde wahrgenommen werden, die es zu bekämpfen gilt, hatte viele Medien jahrelang beigetragen. Ein Aspekt von vielen: die Clan-Berichterstattung.

Auf Sat 1, RTL, BILD-TV, RBB und vielen anderen Kanälen wurde über Jahre zur besten Sendezeit pauschal arabischstämmige Menschen zu Kriminellen erklärt. Insbesondere Spiegel TV verbreitet seit Jahrzehnten das Zerrbild eines migrantischen Lebens in Deutschland, das vor allem aus Gewalt, Frauenunterdrückung, spektakulären Einbrüchen und Drogenhandel bestehe. Dem gegenüber stellen die Reporter meist eine mal unschuldige, mal naive, auf jeden Fall bedrohte Mehrheitsgesellschaft, die dem eigenen Untergang tatenlos zuschaut. Es sind auch solche Untergangsfantasien, in denen sich Rassisten ermächtigt fühlen, die vermeintliche Verteidigung ihres Volkes in die eigene Hand zu nehmen.

Dass dieser Kampf sich dann ausgerechnet gegen wehrlose Besucher einer Shisha-Bar richtet, verwundert nicht, vergewissert man sich, wie diese Orte jahrelang als Feindbilder markiert wurden. Politik und Sicherheitsbehörden aber auch Medien hatten Shisha-Bars als Zentrum von Parallelkultur, Kriminalität und Unterwandung inszeniert. „Shisha-Bars gelten als Wohnzimmer der Clans“, hieß es beispielsweise 2019 in einem Beitrag von Frontal 21.

Besorgniserregend ist, dass sich an dieser Art der Berichterstattung auch nach Hanau nicht viel änderte. Nur zwei Monate nach den Attentaten von Hanau erschien im ZDF im April 2020 eine Doku mit dem Namen „ZDF, Shisha Boom! Von Clans bis Rappern. Wer am Hype mitverdient“. Zuschauer erfuhren dort: „Großfamilien leben in einer Parallelgesellschaft und betreiben organisierte Kriminalität“. Außerdem: „Shisha-Bars sind Hotspots für kriminelle Machenschaften“.

Einheimische zu Fremden gemacht – erst vom Täter, dann von Medien

Auch sprachlich gingen die Perspektive des Täters und jene von Medienschaffenden oft einher. Von „fremdenfeindlichen“ Taten schrieben Redakteure über Jahre ganz selbstverständlich mit Blick auf Menschen, die ihr ganzes Leben in Hanau verbracht hatten. Immerhin: Mit Hanau nahm auch die Kritik an solchen Frames zu. Mit unterschiedlichem Erfolg.

Die Tagesschau schrieb in den Tagen nach dem Attentat weiter von einer „fremdenfeindlichen Tat“. In einem Tweet des ZDF hieß es, in der Shisha-Bar hätten vor allem „ausländische Besucher“ verkehrt. Als seien Jahre der Kritik an der Berichterstattung über die in Wahrheit vom rechtsextremen NSU begangenen „Döner-Morde“ einfach spurlos an der Redaktion vorbeigegangen, titelte Focus Online kurz nach der Tat: „Hanau unter Schock: Erste Bilder nach den Shisha-Morden“.

Nichts aus den „Döner-Morden“ gelernt. Focus Online über die „Shisha-Morde“ von Hanau.

Zum vollständigen Bild gehört aber auch: Viele Medien bemühten sich, es diesmal besser zu machen. Die ARD sendete einen Brennpunkt zum Thema, in dem das rassistische Motiv des Täters ausführlich und explizit diskutiert wurde. Kurz nach den Anschlägen ging auch Maybrit Illner mit einer Sondersendung mit dem Titel „Rassismus tötet“ auf Sendung. Ein Novum für eine Talkshow, in der in der Vergangenheit häufig Muslime und Flüchtlinge pauschal zum Problem erklärt wurden.

Auch die dpa reflektierte ihre Berichterstattung. Man habe intern festgelegt „solche Taten in der Regel ‚rassistisch‘ beziehungsweise ‚rassistisch motiviert‘ zu nennen, gab Froben Homburger, Chef von Deutschlands größter Nachrichtenagentur, kurz nach der Tat via Twitter bekannt. Von „fremdenfeindlich“ wollte man nur noch schreiben, wenn man beispielsweise Sicherheitsbehörden zitiere. Aber auch die ordneten das Attentat schnell als „rassistisch“ ein. Ein Schritt, zu dem sich bayerische Sicherheitsbehörden im Fall des Attentats am Münchner Olympia-Einkaufszentrum erst nach drei Jahren durchgerungen hatten.

Rechtsterrorist oder psychisch kranker Einzeltäter?

Eine andere Diskussion beschränkt sich nicht nur auf Begrifflichkeiten. Einige Medienschaffende, Wissenschaftlerinnen und Aktivisten wiesen schon länger auf eine problematische Schieflage im Umgang mit Gewalttaten hin: Werden im Fall von migrantischen oder muslimischen Tätern schnelle ganze Bevölkerungsteile in Kollektivhaft genommen, ist man sich bei rechtsextremen Tätern häufig schnell sicher, dass es sich nur um einen verwirrten oder psychisch kranken Einzeltäter handeln könne.

Diese unterschiedlichen Einordnungen hatte auch zur Folge, dass in der Vergangenheit über tatsächliche oder vermeintliche islamistische Gefahren sehr viel häufiger und intensiver berichtetet wurde als über die Gefahr des Rechtsextremismus. Studien belegen dieses Phänomen. So kam eine Untersuchung von Forschern der George State University im Jahr 2018 zu dem Ergebnis, dass Medien in den USA fünfmal so häufig über eine Tat berichten, wenn der Attentäter als muslimisch wahrgenommen wird. Diese grundlegende Schieflage endete nicht mit Hanau. Aber in vielen Redaktionen stieg die Sensibilität für rechtsextreme Bedrohungen. Auch das Umfeld, in dem sich Täter online und offline radikalisierten, geriet immer häufig in den Blick von Medienschaffenden.

Dass heute die vorschnelle Einstufungen von rechtsextrem oder rassistisch motivierten Gewalttätern als Einzeltäter in großen Teilen der Öffentlichkeit als verharmlosend zurückgewiesen wird, ist auch eine Folge sich wandelnder Medienberichterstattung nach Hanau.

Perspektive der Opfer statt Propaganda des Täters

Die Debatte um die Motive hinter der Tat berührte noch eine weitere Frage: Wie sollte man überhaupt angemessen über Tat und Täter berichten? In vielen Medien zeigte sich in den Tagen nach den Attentaten ein gewohntes Bild. Zeitungen druckten die selbstinszenierten Fotos des Täters ab – einige sogar unverpixelt.

Auch dem „Manifest“, in dem der Täter seine Propaganda verbreitete, räumten einige Medien viel Raum ein. Kritische Einordnungen gab oft nur unzureichend, in einigen Fällen gar nicht. In vielen Medien war das Video zu sehen, dass der Täter von seiner Tat gemacht hat. Focus Online präsentierte es zunächst sogar in voller Länge. Aus Sensationsgier halfen Medien damit, die Propaganda des Täters zu verbreiten und verhalfen dessen Terror erst zu jener erwünschten öffentlichen Wirkung, die er ohne mediale Unterstützung nie hätte erzielen können.

Die gewohnte Arbeitsteilung: Terrorist stellt Manifest ins Netz, Medien sorgen für die Verbreitung

Gleichzeitig nahm mit Hanau aber auch die Zahl Medienschaffender zu, die verantwortungsvoller mit ihrer Rolle umgingen. Während bei früheren Anschlägen wie die im norwegischen Oslo und Utøya im Jahr 2011 noch ganz selbstverständlich der Name des Täters genannt wurde, verzichteten immer mehr Medienschaffende nun bewusst darauf oder nannten ihn nur, wenn es zum Verständnis absolut notwendig war.

Stattdessen fokussierten sich immer Medien auf einen Aspekt der Tat, der bei früheren Ereignissen häufig viel zu kurz gekommen war: die Schicksale der Opfer und ihrer Angehörigen. Unter #saytheirnames konnte man erst in sozialen und später auch vielen klassischen Medien die Namen und Geschichten der Ermordeten lesen. Dieser Fokus auf die Opfer ist wahrscheinlich die grundlegendste und nachhaltigste mediale Veränderung infolge der Attentate von Hanau.

Langer Atem statt kurzer Aufreger

Die Hanau-Protokolle in Der Spiegel 7/2021

Dieser Fokus ist auch noch Jahre später spürbar. Zum ersten Jahrestag der Anschläge erschienen in Der Spiegel die viel gelobten „Hanau-Protokolle“, in denen Hinterblieben ausführlich zu Wort kommen. Auch der Podcast „190220 – Ein Jahr nach Hanau“ begleitete Überlebende und fragte nach den gesellschaftlichen Folgen der Tat.

Ebenso bleiben die Reporter des WDR-Magazin Monitor bis heute am Ball und berichten beispielsweise über die juristische Aufarbeitung und Versäumnisse der Polizei. Diese und viele andere Beispiel zeigen: Medien und Hanau – das ist nach wie vor ein ambivalentes Verhältnis.

Während einige mit ihren Livetickern und Übertragungswagen längst weitergezogen sind oder mit ihrer Art der Berichterstattung weiterhin Feindbilder schüren, gibt es seit Hanau auch eine nicht unerhebliche Anzahl Medienschaffender, die es versuchen besser zu machen.

Das Aufmacherbild zeigt britische Kolonialbeamte beim Rauchen einer Wasserpfeife im indischen Kalkutta im Jahr 1828, also zu einer Zeit, bevor Medien Shisha-Bars zu Orten von Kriminalität und Parallelkultur verklärten. Mehr Infos.

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