Verfassungsschutz über Muslime: Im Zweifel Islamist

Geht es um islamistische Bedrohungen, gilt Vielen der Verfassungsschutz als unfehlbare Autorität. Doch ein Blick in seinen letzten Jahresbericht zeigt: Der Geheimdienst kümmert sich mehr um die Kriminalisierung gesetzestreuer Muslime als um den Schutz vor Extremisten.

Gegenüber einer Behörde, die einst Millionen gesetztestreuer Bürger als vermeintliche Kommunisten bespitzelte, die jahrelang vom rechten Verschwörungsideologen Hans Georg Maaßen geleitet wurde und deren eigene Verstrickung in die Mordserie des NSU immer noch nicht aufgeklärt ist, ist zumindest Skepsis angebracht.

Dennoch behandeln viele Medien und Politikerinnen Erkenntnisse des Verfassungsschutz als quasi unumstößliche Wahrheiten. Vor allem dann, wenn es um muslimische Person oder Organisation geht, reicht häufig schon die bloße Erwähnung im Bericht des Geheimdienstes, um für alle Ewigkeit als „Islamist“ markiert und aus dem öffentlichen Leben verbannt zu werden.

Mutmaßungen, Pauschalisierungen, Kontaktschuldvorwürfe

Das Problem daran: Als „Islamist“ gilt dem Verfassungsschutz mittlerweile so ziemlich jeder, der sich in einer der großen muslimischen Organisationen in Deutschland engagiert.

Im aktuellen Jahresbericht erklärt die Behörde zehntausende gesetzestreue Menschen pauschal zu Extremisten, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, ihnen Straftaten oder extremistische Äußerungen nachzuweisen. Organisationen, die sich seit Jahrzehnten in Integrationsarbeit oder interreligiösem Dialog engagieren, werden zur Gefahr für das friedliche Zusammenleben erklärt, ohne dass die Behörde auch nur einen konkreten Beleg liefert.

Stattdessen hagelt es Mutmaßungen, Pauschalisierungen und Kontaktschuldvorwürfe. Ein Beispiel von Vielen: ATİB. Über den türkisch-islamischen Kulturverein lässt sich sicherlich auch viel Kritisches erzählen. Doch damit hält sich der Verfassungsschutz nicht auf. Stattdessen dient ein einziger Facebook-Post eines einzigen Ortsvereinmitglieds als vermeintlicher Beleg für den Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus tausender Menschen.

Im Fall von Millî Görüş gibt es nicht einmal das. Bis zum Ende seines Berichts bleibt der Verfassungsschutz die Erklärung schuldig, wie es ein Moscheeverband aus gesetzestreuen muslimischen Deutschen in einen Absatz mit dem Islamischen Staat und Al-Qaida geschafft hat.

Alu- statt Schlapphüte

Ein Vorteil haben die unbelegten Unterstellungen, Mutmaßungen und behaupteten „Näheverhältnisse“: Die beschuldigten Organisationen können sich kaum juristisch gegen sie wehren. Im Gegenteil: Versuche, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen, werden in ihr Gegenteil verkehrt.

Dass Abstreiten von Verbindungen zur Muslimbruderschaft und Bekenntnisse zu Grundgesetz und freiheitlichen demokratischen Grundordnung „gehört zu ihrem konspirativen Vorgehen und verdeutlicht die Janusköpfigkeit der Organisation“, heißt es beispielsweise zur „Deutschen Muslimischen Gemeinschaft“.

Während sich die Beamtinnen in vorhergehenden Kapiteln mit rechten Verschwörungstheorien auseinandersetzen, wirken die Kapitel zu islamischen Organisationen in weiten Teilen so, als hätten die Verfassungsschützer beim Schreiben selbst einen Aluhut aufgehabt.

Muslime gibt es nur als Täter, nicht als Opfer

Das mag auch daran liegen, dass der Verfassungsschutz Muslime nur in einer Rolle zu kennen scheint: als Täter. Nach extremistischen Bedrohungen, die sich gegen die muslimische Bevölkerung Deutschlands richten, sucht man – trotz rund 100 Angriffen auf Moscheen im vergangenen Jahr – fast vergeblich.

Auf 394 Erwähnungen bringt es der Begriff „Islamismus“ (und abgeleitete Begriffe) im Verfassungsschutzbericht 2020. „Islamfeindlichkeit“ und andere Begriffe, die Feindseligkeiten gegen Muslime beschreiben, finden sich gerade einmal an 5 Stellen. Bis auf einen Fall geht es dabei allerdings auch wieder um „Opfernarrative“ und unberechtigte „Vorwürfe“ durch „Islamisten“.

Bagatellisierung echter extremistischer Bedrohungen

Dabei finden sich von Salafisten über türkische Nationalisten bis hin zu Al-Qaida-Anhängern in dem Bericht auch jede Menge echte extremistische Bedrohungen. Doch genau diese relativieren die Verfassungsschützer, wenn sie sie mit gewöhnlichen deutschen Moscheegängern gleichsetzen.

Eine Statistik zum „Personenpotenzial Islamismus/islamistischer Terrorismus“ besteht beispielsweise zum größten Teil aus völlig gesetzestreuen und bestens integrierten IGMG-Mitgliedern. Da fallen die paar Al-Qaida-Terroristen kaum noch ins Gewicht.

Was ist der analytische Mehrwert eines „Islamismus“-Begriffs, der den „Islamischen Staat“ und das „Islamische Zentrum Hamburg“ zu unterschiedliche Strömungen desselben politischen Extremismus erklärt? Es gibt keinen. Es ist pure Demagogie.

Bis zum Ende des Berichts bleibt es das Geheimnis der Verfassungsschützer, wie es zehntausende Menschen schaffen, seit Jahrzehnten an der Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der Errichtung einer islamischen Herrschaftsordnung zu arbeiten, ohne dass ihnen Deutschlands mächtigster Geheimdienst auch nur eine einzige subversive Tat nachweisen kann.

Echte rechtsextreme Bedrohungen bringen es wenn überhaupt nur auf wenige Zeilen

Die Abwegigkeit der „Islamismus“-Analyse des Verfassungsschutzes wird noch deutlicher, wenn man sich anschaut, wie die Geheimdienstler mit anderen Bedrohungen umgeht: Während auf Dutzenden Seiten über Mutmaßungen und Assoziationsketten gesetzestreue Muslime zur islamistischen Bedrohung verklärt werden, schaffen es ganz reale und gut belegte rechtsextreme Umsturzpläne oft nur auf wenige allgemein gehaltene Zeilen oder Absätze.

Mitglieder terroristischer Gruppierungen wie der „Gruppe S.“, „Nordkreuz“ und „Uniter“ legten Waffenlager an, führten Feindeslisten, planten Anschläge auf Moscheen und die Ermordnung von Politikern, wollten Bürgerkriege herbeiführen und das politische System stürzen. Die Ausführungen des Verfassungsschutzes gehen dennoch selten über die Aufzählung von Anklagepunkten der Staatsanwaltschaft oder dem vagen Versprechen “jedem einzelnen Fall entschlossen zu begegnen“ hinaus.

Eigentlich müsste der Verfassungsschutz die gesamte CDU zur extremistischen Bedrohung erklären

Nur für eine Gruppe interessiert sich der Verfassungsschutz noch weniger als für privat organisierte Rechtsextremisten: Rechtsextremisten im eigenen Staats- und Sicherheitsapparat. Das gilt für rechte SEK-Polizisten und KSK-Soldaten genauso wie für rechtsoffene Verschwörungsideologen an der Spitze der eigenen Behörde.

Als Innenminister Horst Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang den aktuellen Verfassungsschutzbericht vorstellten, kam das Thema auch auf CDU-Bundestagskandidat und Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans Georg Maaßen. Was die beiden von dessen antisemitische Verschwörungstheorien hielten, wollte ein Journalist wissen. Über Einzelpersonen rede er nicht, wiegelt Haldenwang die Frage über seinen Vorgänger ab. Und Seehofer versicherte, dass Maaßen „zweifelsfrei auf den Boden unser freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ stünde.

Würden Seehofer und Haldenwang ihren Parteifreund Maaßen mit jenem Maß messen, das der Verfassungsschutz an Muslime anlegt, sie müssten nicht nur Maaßen, sondern die gesamte CDU und das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst zur extremistischen Bedrohung erklären.

[Das Aufmacherbild zeigt weder Maaßen noch eine Muslimin. Stattdessen werden auf dem Plakat von 1954 sowjetische Soldaten davor gewarnt, in privater Post versehentlich Militärgeheimnisse zu verraten.]

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