Der neue Bundestag: bunter aber auch anti-rassistischer?

Mehr Abgeordnete mit Migrationshintergrund · Keine Chance für Migranten-Parteien · Wichtige Stimmen gegen Rassismus verlieren Mandat · Keine Moschee in Oberaichen · WDR kapituliert vor Rassisten ·

Die Abendlandchroniken sind zurück aus der Spätsommerpause. Rechtzeitig, um noch ein paar Gedanken zur Bundestagswahl loszuwerden. Diese lieferten nicht nur ein ambivalentes Ergebnis, was mögliche Regierungskoalitionen angeht. Auch mit Blick auf zukünftige Koalitionen gegen anti-muslimischen Rassismus war der Wählerwillen eindeutig uneindeutig.

Bundestag ein bisschen diverser


Eine positive Entwicklung: Der neu gewählte Bundestag spiegelt die gesellschaftliche Vielfalt etwas besser als in den Jahren zuvor. Mindestens 83 von 735 Abgeordneten haben einen Migrationshintergrund. Damit steigt ihr Anteil auf 11,3 Prozent. Das ist zwar immer noch weit entfernt von den 26 Prozent der Gesamtgesellschaft aber immerhin ein Fortschritt gegenüber den 8,2 Prozent des letzten Bundestages.

Große Unterschiede zeigen sich zwischen den Fraktionen. Während die Linke mit 28,2 Prozent Abgeordneten mit Migrationshintergrund zumindest Diversity-Wahlsieger ist, landet die CDU/CSU-Fraktion mit 4,1 Prozent sogar noch hinter der AfD. Überraschend: Ausgerechnet bei den Grünen, die mit Forderungen nach mehr Diversität in der Politik in den Wahlkampf zogen, sinkt der Anteil von Abgeordneten mit Migrationshintergrund leicht von 14,9 auf 14,4 Prozent. Die ganze Auswertung gibt es beim Mediendienst Integration.

Wichtige Stimmen gegen Rassismus verlieren Mandat

Der Bundestag wird vielfältiger. Ob er damit auch anti-rassistischer wird, muss sich erst zeigen. Bedauerlich aus der Sicht aller, die sich gegen antimuslimischen Rassismus engagieren, ist vor allem das katastrophale Abschneiden der Linken.

Unter anderem sind zwei der wichtigsten Stimmen gegen antimuslimischen Rassismus nicht mehr im Bundestag vertreten: Ulla Jelpke, die in den letzten Jahren mit zahlreichen Kleinen Anfragen an die Bundesregierung dafür sorgte, dass es überhaupt offizielle Zahlen zu anti-muslimischen Übergriffen gibt, verlor ebenso ihr Mandat wie Christine Buchholz. Die religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion machte sich unter anderem gegen die Ausgrenzung muslimischer Frauen auf dem Arbeitsmarkt stark und pflegte als eine von wenigen Abgeordneten einen engen Kontakt zur muslimischen Community.

Migranten-Parteien scheitern deutlich

Neue Parteien, die sich im Wahlkampf gegen Rassismus stark machten und explizit um die Stimmen muslimischer und/ oder migrantischer Wähler warben, konnten sich bei der Wahl nicht durchsetzen. Das vom gleichnamigen Ex-CDUler und Nahost-Reisenden gegründete „Team Todenhöfer“ scheiterte mit 0,5 Prozent (=214.281 Stimmen) deutlich sowohl an der 5-Prozent-Hürde als auch am eigenen Anspruch. In einigen Duisburger und Hamburger Wahllokalen brachte es die Partei immerhin auf einige Achtungserfolge zwischen 7 und 10 Prozent.

Davon ist Die Urbane weit entfernt. Die „Hip Hop-Partei“, die sich unter anderem für ein Ausländerwahlrecht einsetzt, überzeugte lediglich 17.861 Wähler und Wählerinnen und scheiterte mit 0,04 Prozent auch an den wichtigen 0,5 Prozent, die Zugriff auf staatliche Parteienfinanzierung ermöglicht.

Wer sonst noch gescheitert ist

Gescheitert ist auch mal wieder der Versuch, dem grundgesetzlich garantierten Recht auf freie Religionsausübung für Muslime Raum zu verschaffen. Diesmal im württembergischen Leinfelden-Echterdingen. Dort versucht die CDU-geführte Kommune seit Jahren eine Erweiterung der noch im Bau befindlichen Filder-Moschee zu verhindern und verlangt von der muslimischen Gemeinde ein zu diesem Zweck verkauftes Grundstück zurück. Nach jahrelangem Rechtsstreit entschied am Dienstag (28.9.) das Landgericht Stuttgart zugunsten der Stadt und verpflichtete den „Muslimischen Verein für Kultur, Bildung und Integration“ (VKBI), das Grundstück zurückzugeben.

Gescheitert ist auch die Hoffnung, die Öffentlich-Rechtlichen würden einmal einer Springer-Kampagne nicht nachgeben und die eigene Mitarbeiterin nicht dem rassistischen Mob im Netz zum Fraß vorwerfen. Nach einer von BILD, WELT und anderen rechten Trollen befeuerten Kampagne gab WDR-Intendant (=Chef) Tom Buhrow am Dienstag (28.9.) bekannt, dass die Journalistin Nemi El-Hassan nicht die Wissenschaftssendung Quarks moderieren wird. Grund sei nicht ihre Teilnahme an der Al-Quds-Demo vor etlichen Jahren, sondern „problematische Likes von ihr in sozialen Netzwerken“. Gemeint sind Likes für “Jewish Voice for Peace”.

Während also im Fall einer preisgekrönten Journalistin, die sich seit Jahren gegen Rassismus, Antisemitismus und für interkulturelles Miteieinander stark macht, Likes für eine jüdisch-amerikanische Friedensorganisation beim WDR das Karrierende bedeuten, ist man bei anderen Mitarbeitern weiter nachsichtiger. Über Probleme öffentlich-rechtlicher Intendanten mit den regelmäßigen islamophoben Buchveröffentlichungen ihres Tagesschau-Moderators oder antisemitischen und minderheitenfeindlichen Witzen ihrer Kabarettisten ist bisher nichts bekannt. Die sind allerdings auch weiß und nicht muslimisch.

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