Polen, Belarus und der moralische Totalausfall Europas

Keine Hilfe für schutzsuchende Menschen · Kein Verfahren gegen prügelnden Sanitäter · Keine Diversität in TV-Nachrichten · Ein Jahr Luxor und die Folgen · antimuslimischer Rassismus an Berliner Schulen ·

Es geht nicht um die „Millionen Menschen“, die seit 2015 als rechtes Dauerschreckgespenst auch noch die hundertste Asylrechtsverschärfung rechtfertigen müssen. Es geht auch nicht um die 200.000 aus jener Obergrenze, mit der die CSU im Wahlkampf 2017 noch für Empörung sorgte. Auch nicht um die 60.000, denen wir einmal jährlich gestatten wollten, ihre Eltern, Kindern und Ehepartner wiederzusehen – auch wenn diese Zahl nie erreicht wurde. Es geht nicht einmal um die 5.000, denen der Bundestag im letzten Jahr verwehrte, die Hölle von Lesbos zu verlassen.

2.000 ist die neue Benchmark deutscher Flüchtlingspolitik. Und selbst an ihr sind wir gescheitert. 2000 hilfesuchende Menschen reichen mittlerweile aus, um die unmenschliche Realität hinter dem leeren Gerede von “europäischen Werten” zu entlarven.

Überlebenskampf gegen Europa

Kaum zehn Autostunden von Deutschland entfernt warten, frieren und sterben Menschen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Oder auf überhaupt eines. Und die deutsche Politik? Die tut nichts. Najagut, etwas tut sie schon: Schutzsuchende Menschen zu Kriegswaffen erklären, das Errichten von Mauern und Zäune befürworten, Gewalt gegen wehrlose Menschen unterstützen… Kurz gesagt: Sie tut alles, um zu verhindern, das einzig Richtige zu tun: Menschen in Not zu helfen.

Ein Jahr Operation Luxor und die Folgen

Wo wir gerade bei staatlich gewollter Rechtlosigkeit im Kampf gegen schutzlose Menschen sind: In Österreich jährte sich am 2. November die Operation Luxor. Jene großangelegte Polizeirazzia, die – so die offizielle Begründung – Terroristen dingfest machen sollte, aber dann doch nur jede Menge unschuldige muslimische Bürger und Bürgerinnen traumatisierte.

Die britische Menschenrechtsorganisation CAGE und ACT-P – eine Organisation, die sich für von Polizeigewalt traumatisierte Kinder einsetzt – haben nun einen umfassenden Bericht über Hintergründe und Folgen der Razzia vorgelegt. Zu lesen gibt es viele erschütternde Aussagen von Opfern der Razzia sowie viele kluge Erklärungen, wie ein System aus Korruption, Machtmissbrauch und Islamophobie Österreichs größte (und vielleicht sinnloseste) Polizeirazzia in Friedenszeiten möglich machte.

Keine Strafe für prügelnden Sanitäter

Ein Fall von Machtmissbrauch jährt sich auch in Deutschland dieser Tage. Am 8. November 2020 schlug ein Sanitäter in Kassel mutmaßlich auf einen gefesselten Flüchtling ein. Der musste danach mit doppeltem Jochbeinbruch ins Krankenhaus eingeliefert werden. Behörden begannen erst zu ermitteln, als Monate später ein Überwachungskameravideo an die Öffentlichkeit gelangte und bundesweit für Empörung sorgte.

Am Dienstag dieser Woche (16.11.) wurde nun bekannt, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den Sanitäter sowie die beiden tatenlos daneben stehenden Polizisten wegen mangelndem Tatverdacht eingestellt hat. Ermittelt wird nur noch gegen den Syrer. Die ganze Geschichte gibt es – leider ohne kritische Einordnung – bei der Hessenschau.

Deutsche TV-Nachrichten: deutsch, weiß, männlich


Der eben erwähnte Beitrag der Hessenschau wurde übrigens von einem weißen Redakteur und einer weißen Redakteurin verantwortet. Im Beitrag zu Wort kommen ein weißer männlicher Vertreter eines Wohlfahrtsverbandes und ein weißer männlicher Gewerkschafter. Alle Beteiligten wurden in Deutschland geboren.

Glaubt man einer neuen Untersuchung der Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NdM) ist die Hessenschau damit typisch für deutsche Nachrichtensendung. Die NdM haben 4.200 Auftritte von über 2.500 verschiedenen Personen aus 183 Sendungen des „Heute Journal“, von „RTL Aktuell“ und der „Tagesthemen“ in den Monaten August und September nach Diversität ausgewertet.

Einige der Ergebnisse: Nur rund 10 Prozent der in Nachrichtensendungen auftretenden Personen werden als migrantisch wahrgenommen. Bei Berichten über Arbeitsmarkt und Bildung waren nicht-migrantische Personen sogar ganz unter sich. Außerdem unterrepräsentiert: Frauen (35%), Menschen mit Behinderung (0,7 Prozent) und erkennbar religiöse Menschen (0,5 Prozent).

Den ganzen Bericht der NdM gibt es hier. Eine Studie zu fehlender Diversität in Film und Kino mit ganz ähnlichen Ergebnissen gab es neulich von der MaLisa-Stiftung.

antimuslimischer Rassismus an Berliner Schulen

Wie in einem schlechten Film müssen sich auch muslimische Schüler und Schülerinnen in Berlin fühlen. Dort gehören islamfeindliche und diskriminierende Äußerungen durch Lehrkräfte offenbar zum Alltag. Das zeigt eine neue Untersuchung der Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen.

In der Studie berichteten 62 Prozent der befragten muslimischen Jugendlichen, schon einmal negative Äußerungen gegenüber ihrer Religion erlebt zu haben. 65 Prozent der kopftuchtragenden Schülerinnen gaben an, mit Lehrkräften oder Schulleitung negative Erfahrungen gemacht zu haben. Im Interview mit der taz berichtet Studienmacherin Aliyeh Yegane Arani:

Zum Beispiel gab eine Befragte an: Als sie mit Kopftuch in die Schule gekommen sei, „frage mich ein Lehrer vor der gesamten Klasse, ob ich zum IS übergetreten bin“. Andere hören: „Wir sind in Deutschland“ oder „Wir leben in einem europäischen Land“. Oder der Schulleiter sage, „ich soll mein Kopftuch abnehmen oder gehe ich etwa putzen?“ Des Weiteren berichteten die Jugendlichen, man rede grundsätzlich mit ihnen, als könnten sie kein Deutsch sprechen, gebe ihnen das Gefühl, dass sie dumm wären, interagiere weniger mit ihnen und gebe schlechtere Bewertungen.

Das taz-Interview gibt es hier, die ganze Studie dort.

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