In 10 Schritten zu einer besseren Islamberichterstattung


Noch immer hält das Bundesinnenministerium seinen Bericht “Muslimfeindlichkeit. Eine deutsche Bilanz” unter Verschluss. Dabei kann man auf den 400 Seiten jede Menge lernen. Auch als Journalist.

1. mehr thematische Vielfalt

Kriege, Terror und Kriminalität. Das sind nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 die Themen, um die sich deutsche Islam-Berichterstattung dreht. Im Auftrag des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) werteten Forscher der FU-Berlin über 20.000 Medienbeiträge mit Islam-Bezug aus: Das Ergebnis der repräsentativen Untersuchung: 57 Prozent der Print- und sogar 89 Prozent der TV-Beiträge handeln von Negativthemen. In der BILD beschäftigen sich zwei von drei Beiträgen mit Islam-Bezug mit Themen wie Terrorismus, Krieg und innerer Sicherheit. Im Programm der ARD sind es sogar knapp 86 Prozent. Beiträge, die sich dem Islam als Religion widmeten, gab es im Programm des öffentlich-rechtlichen Senders keinen einzigen. Das Fazit der Studienmacher*innen: „Es fehlt eine Diversifizierung der Themenpalette, die konstruktive Aspekte der Lebensrealität stärker einbezieht.“

2. mehr personelle Vielfalt

Für eine vielfältige und professionelle Berichterstattung, die sich am realen Leben realer Muslime statt an Klischees über sie orientiert, braucht es vor allem eines: mehr Vielfalt auf den Bildschirmen, den Zeitungsseiten und in den Redaktionen selbst. Nach wie vor werde in Medien „weit mehr über als mit Musliminnen gesprochen“, schreiben die Macher des Berichts. Muslime würden „kaum als Sprecherinnen in Erscheinung [treten]“ und „in hohem Maße objektifiziert.“ So würden Muslime beispielsweise häufiger als Miliz-Anhängerinnen oder Terroristen in Erscheinung treten denn als Mitglieder der Zivilgesellschaft. Der Anteil migrantischer Journalistinnen steige zwar langsam, „liegt aber weit hinter dem Bevölkerungsdurchschnitt zurück.“

3. bessere Bilder

Nicht nur die tendenziöse Auswahl von Themen und Stimmen begünstigt die Schieflage der Islamberichterstattung. Auch in der Bildberichterstattung – so schreibt der UEM – hätten sich stereotype Darstellungen „seit Jahrzehnten kaum geändert“. Muslime würden weiterhin vor allem „als ‚Sicherheitsrisiko‘, ‚kulturelle Herausforderung‘ oder als ‚primitiv‘ dargestellt“. Zudem würden Musliminnen häufiger visuell markiert als andere Gruppen – insbesondere durch das Kopftuch. Der Expertenkreis fordert deshalb „eine vollständige Neubestimmung des Bildjournalismus zur Überwindung visueller Stereotype.“

4. Vorsicht bei pauschalisierenden Debatten

Journalisten sind Herdentiere. Das zeigt sich auch in der Islamberichterstattung. Der UEM hat mehrere mediale Debatten untersucht: vom Karikaturenstreit, über die Kölner Silvesternacht bis zur Berichterstattung über „Clankriminalität“. Das Ergebnis: Medienschaffende verfallen immer wieder denselben ausgrenzenden und pauschalisierenden Dynamiken. So habe die Debatte um den „Politischen Islam“, „in erheblichen Teilen der medialen und politischen Diskussion jede problemorientierte Kontur verloren“ und stigmatisiere „weite Teile der muslimischen Bevölkerung und ihrer Organisationen.“ In den immer wiederkehrenden Kopftuchdebatten würden Hijab tragendende Frauen einerseits als fremd und gefährlich markiert, „andererseits zu Opfern von per se patriarchalischen und unterdrückenden Verhältnissen stilisiert.“ Auch bei Medienberichten über Moscheebauten würden „Muslim*innen als Problem benannt, in Gegensatz zur deutschen Gesellschaft gesetzt und damit in den Kontext einer vielfach negativen Berichterstattung über ‚den Islam‘ eingeordnet. Zu „Ehrenmorden“ merkt der UEM an, dass diese in „keiner Relation zur medialen Darstellung“ stünden. Öffentliche Debatten hierzu würden „zur Kriminalisierung der muslimischen Bevölkerung führen.“

5. Schluss mit Kontaktschuldvorwürfen

Ein missverständlicher Like, der Besuch in einer „falschen“ Moschee, eine problematische Bekanntschaft – und schwupps gilt man öffentlich als Islamist. Und mit einem selbst gleich der nächste Kreis weiterer Kontakte. Der Problematik von Kontaktschuldvorwürfen hat der UEM ein eigenes Kapitel gewidmet. Diese kritisiert er als „Sippenhaftkonstruktionen“, „Pseudoargumente“ und „Pauschalurteile“, als deren Folgen, „Karrieren oder auch Existenzen zu Bruch gehen können“. An mehreren konkreten Beispielen zeigt der UEM, wie neben Politiker*innen, dubiosen Blogs und selbsternannten „Islamexperten“ auch viele eigentlich seriöse Medien solche Vorwürfe unkritisch verbreiten und zu einem Generalverdacht gegenüber Muslimen beitragen.

6. mehr Distanz zu Staat und Behörden

Schon in der Ausbildung lernen Journalisten, Sicherheitsbehörden als „privilegierte Quellen“ zu behandeln. Manch einer hält selbst das Abtippen von Polizeimeldungen für Journalismus. Nach der Lektüre des UEM-Berichts sollten Medienschaffende dieses Urvertrauen zumindest überdenken: Etwa, weil der Verfassungsschutz mit „unbelegten Annahmen und Verunglimpfungen“ zu einer „regelrechten Misstrauens- und Verdachtskultur gegenüber Muslim*innen“ beigetragen habe. Weil – wie eine aktuelle Studie von Forscher der Uni Duisburg-Essen zeigt – rassistische Einstellungen unter Polizisten eher die Regel als die Ausnahme sind. Und weil Straftaten, in denen Muslime nicht Täter, sondern Opfer sind (z.B. Moscheeübergriffe) sehr viel weniger Aufmerksamkeit durch Sicherheitsbehörden erlangen.

7. mehr Vorsicht gegenüber Sozialen Medien

Nicht erst seit Elon Musks Twitter-Übernahme stehen Soziale Medien in der Kritik. Wie toxisch das Klima dort aber tatsächlich ist, zeigt eine Studie von Forschern der Uni Mainz. Im Auftrag des UEM haben sie auf Twitter, 4Chan, Telegram, Facebook, YouTube und Instagram über eine halbe Million Tweets und Kommentare mit Islam-Bezug untersucht. Die allergrößte Mehrzahl der Posts, charakterisierte Muslime und ihre Religion pauschal als gewalttätig, terroristisch, intolerant, frauenfeindlich und antisemitisch. Hinzu kommen Verschwörungstheorien und „rassistische Sprechakte“, die „pogromartige Gewalt wie in Hanau befördern können.“ Insbesondere, da Medien immer häufiger bei der Auswahl von Themen und Stimmen auf Soziale Medien setzen, sollten sie hier vorsichtig sein.

8. mehr Offenheit gegenüber Sozialen Medien

Soziale Medien sind ein Problem, sie können aber auch Lösungen bieten. Auch das zeigt der Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit. In seinem Auftrag analysierten Forscher der Uni-Erfurt, wie Soziale Medien Kommunikationsräume für gesellschaftliche Gruppen schaffen, die in traditionellen Medien häufig zu kurz kommen. Am Beispiel muslimischer Influencer auf Instagram zeigten sie: Soziale Medien können einen wichtigen Raum für Sichtbarmachung, Aufklärung, Solidarisierung und Empowerment einer muslimischen Gegenöffentlichkeit bieten. Berücksichtigt man, dass schon einzelne solcher Accounts teils weit mehr Reichweite erzielen als beispielsweise große Tageszeitungen, sollten klassische Medien aufpassen, hier nicht den Anschluss zu verlieren.

9. Selbstkritik fördern

Der UEM analysiert nicht nur Probleme der aktuellen Medienarbeit. Der Bericht zeigt auch, wo jetzt schon das Potenzial für Verbesserungen existiert: In den Redaktionen selbst. Im Bericht kommen zahlreiche Medienschaffende zu Wort, denen die Missstände in ihrer Branche durchaus bewusst sind und sich mit (Selbst)kritik nicht zurückhalten. Diese reicht vom Fokus auf Negativthemen und mangelnden Fachkenntnissen, über unzureichenden Bezug zu migrantischen Zielgruppen und einseitiger Expertenauswahl, bis zur Angst vor rechten Shitstorms und wirtschaftlichen Zwängen. Auch Ideen, wie eine bessere Islamberichterstattung gelingen kann, finden sich zahlreich in den Redaktionen. Nur scheitern sie damit häufig an den Beharrungskräften in der eigenen Chef-Etage. Der UEM fordert deshalb „eine grundlegende Reform der Produktionsstrukturen im Journalismus, auf Leitungsebene der Medien und in der professionellen Selbstkontrolle (inkl. Mediengewerkschaften und -verbänden), um Medienschaffende und -organisationen nachhaltig zu sensibilisieren.“

10. Verantwortung übernehmen

Medienschaffende bewegen sich mit ihrer Arbeit nicht im luftleeren Raum. Sie prägen die Stimmung im Land mit und tragen Verantwortung für die Folgen ihres Handelns. Diese Folgen reichen von Sinken medialer Glaubwürdigkeit und zunehmender Demokratieverdrossenheit, über die Zunahme rechter und menschenfeindlicher Positionen in der Bevölkerung bis hin zu konkreten Gewalttaten gegen Muslim*innen, Geflüchtete und andere marginalisierte Gruppen. „Eine Mitverantwortung der Medien für Antimuslimischen Rassismus ist folglich nicht von der Hand zu weisen“, schreibt der UEM und belegt dies mit zahlreichen Studien. Verantwortungsvolle Medienschaffende sollten sich dieser Verantwortung stellen und sich mit den Folgen ihres Handelns auseinandersetzen.

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