Ramadan-Berichterstattung: Da hilft nur noch Islamisierung

Dehydrierte Kinder, gewalttätige Palästinenser, gerissene Islamisten: Wenn deutsche Medien über den Ramadan berichten, erfährt man oft wenig über die Fastenzeit der Muslime; dafür umso mehr über den Kompetenzmangel in Redaktionen.

„Gläubige verzichten zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang auf Essen und Trinken“. Dazu Bilder aus Pakistan und Afghanistan. Viel mehr fiel der Tagesschau-Sprecherin auch in diesem Jahr nicht zum Ramadan ein. Dass das Thema auch etwas mit Millionen Deutschen zutun hat, erfuhr das Publikum ebenso wenig, wie dass der muslimische Fastenmonat dann doch mehr ist als eine kollektive 30-Tage-Diät.

Damit ist die Tagesschau nicht allein. Trotz mittlerweile fünf Millionen Deutschen, die zum Ramadan fasten (laut einer Studie des BAMF), ist die Berichterstattung vieler Medien zum Thema so schlecht wie eh und je. Mit einer Mischung aus Ignoranz, Unwissen, Exotismus, Vorurteilen und rechten Verschwörungstheorien zeigen viele Redaktionen zum Ramadan exemplarisch, was in der deutschen Islamberichterstattung ganz allgemein schiefläuft.

Der Muslim als chronisches Mangelwesen

Das Lieblingsthema deutscher Ramadan-Berichterstattung in jedem Jahr: fastende Schulkinder. Wahrscheinlich zu keinem anderen Zeitpunkt erfährt das deutsche Bildungssystem so viel journalistische Aufmerksamkeit wie, wenn eine unbekannte Zahl deutscher Schüler und Schülerinnen (angeblich) einen halben Tag auf Essen und Trinken verzichtet.

Handfeste Erkenntnisse zu Ausmaß oder negativen Folgen des Phänomens gibt es nicht. Alarmistische Schlagzeilen dafür umso mehr: Da „schlagen Kinderärzte Alarm“ (RTL), wird „der Ramadan zur Gesundheitsgefahr“, sind Kinder „zu schwach für die Klassenarbeit“ (Stuttgarter Nachrichten) und üben sich Lehrer in „falscher Toleranz“ (NTV).

Da ist er wieder, der Muslim als chronisches Mangelwesen – immer nur einen Handschlag, ein bisschen Schweinefleisch, ein abgelegtes Kopftuch oder ein FDGO-Bekenntnis vom vollwertigen deutschen Bürger entfernt.

Klischee-Eskalation im blutigen Fastenmonat

Immerhin einen Vorteil hat die Berichterstattung über dehydrierte Kinder: Sie hat zumindest einen entfernten Bezug zum echten Fastenmonat. Das gilt für den Großteil der Berichte mit Ramadan-Erwähnung nicht. Wer bei BILD, aber auch Tagesschau oder taz nach Beiträgen sucht, in denen das Wort „Ramadan“ vorkommt, wird überrascht. Die meisten Artikel haben überhaupt nichts mit fastenden Muslimen zu tun. Stattdessen geht um das Schulschließungen der Taliban, tote Israelis und Palästinenser, Repressionen in Tunesien, Gewalt im Sudan und Massenpaniken im Jemen.

Der Grund für das seltsame Phänomen sind Formulierungen wie „blutiger Ramadan“ oder „Gewalteskalation zum Ramadan“. Die Botschaft: Tod und Elend im Nahen Osten und andernorts sind vor allem ein religiöses Phänomen. Mehr noch: Ausgerechnet dann, wenn sich Muslime auf ihren Gott besinnen, scheinen sie besonders gewalttätig zu werden. Belege für diese Suggestionen liefern die Berichte freilich nicht.

Fastende und andere Islamisten

Aber es geht noch schlimmer. Wer denkt, im Monat islamischer Besinnung und Selbstreflektion würden auch islamfeindliche Verschwörungstheorien eine Pause einlegen, wird enttäuscht. Im Deutsche Welle-Ableger Qantara schafft es der Theologe Mouhanad Khorchide in nur einem Interview zum Ramadan so ziemlich alle Catchwords aktueller islamophober Debatten unterzubringen: „Opfernarrativ“, „religiöses Mobbing“, „Politischer Islam“, „türkischer Nationalismus“, „Muslimbrüder“… In der Rheinischen Post legt der Kolumnist noch einen drauf und konstruiert eine Nähe zwischen Fastenden und Terroristen: „Auch Selbstmordanschläge basieren auf dem Gedanken der Aufwertung des Leidens…“.

In der WELT unterdessen bemüht sich der Autor selbst um Anleihen bei islamischen Takfiristen, wenn er zwischen richtigen und „falschen Muslimen“ unterscheidet. Mit letzteren habe NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst gefeiert, als er die Vertreter der größten islamischen Interessenvertretungen zum Iftar einlud. Oder im WELT-Sprech: „Erdoganisten und Islamisten“. Immerhin: Diesmal sind nur islamische Funktionäre das Ziel der Anfeindungen. Ein kleiner Fortschritt zu früheren Jahren, als die Welt einem Beitrag zu fastenden Kindern die Überschrift „Wir islamisieren uns schleichend“ verpasste.

Mit dem Ramadan hat das nichts zu tun


Was in der Ramadan-Berichterstattung vor lauter Klischees, Feindbilder und Verschwörungstheorien zu kurz kommt, ist der Ramadan. Also der echte. Jener Ramadan, den auch in diesem Jahr Millionen ganz reale Menschen in Deutschland begangen haben: entschleunigt voller Spiritualität und Selbsterkenntnis. Oder dauergestresst in der Küche. Fast jede Nacht beim Tahajud. Oder zumindest einmal fast pünktlich beim Juma-Gebet. Mit Biryani, Samosas, Baklava und Kunafa. Oder mit Happy Meal bei McDonalds.

Mit überbesorgten Lehrern oder mit verständnisvollen Vorgesetzten. Versunken in die Lektüre des Korans. Oder vor dem Fernseher mit der 13. Staffel von Bab Al Hara. Gemeinsam mit der Großfamilie. Oder allein mit Allah beim Itikaf. Mit Tränen der Überwältigung angesichts der Liebe Gottes. Oder mit Freudentränen über die neue Nintendo Switch. Mit Zuckerfest im Park. Oder mit ‘Id Al-Fitr in der Moschee. Mit Erleichterung, dass es vorüber ist. Oder mit Vorfreude, gleich noch sechs Tage im Schawwal dranzuhängen.

Als würde der führerscheinlose Autohasser den neuen AMG testen

Der wichtigste Grund, warum deutschen Medien zum Ramadan selten mehr einfällt als Essen, Trinken und Gewalt in Nahost: In den meisten Redaktionen findet sich schlicht keine Person, die irgendeine Ahnung von Gott, Spiritualität, ägyptischen Soap Operas oder den Dynamiken türkischer Großfamilien hat. Worunter die deutsche Ramadan-Berichterstattung am meisten leidet: Der Mangel an Journalisten, die ihn schon einmal erlebt hat.

Keine Zeitschrift käme auf die Idee, den neuen AMG vom führerscheinlosen autohassenden Fahrradfahrer in der Redaktion testen zu lassen oder die Verantwortung für den Tik-Tok-Kanal dem 60-jährigen Kollegen zu übertragen, der sich seine E-Mails immer noch ausdrucken lässt. Nur die Islamberichterstattung wird in den meisten Redaktionen nach wie vor von religiösen Analphabeten verantwortet. Dagegen hilft letztlich nur eines: Mehr Muslime und Musliminnen in den Redaktionen.

[Das Aufmacherbild zeigt das Gemälde “Gorta” der irischen Künstlerlin Lilian Lucy Davidson. Zu sehen sind drei ausgemergelte Bauern während der irischen Hungersnot. So in etwa ist auch das Bild fastender Schulkinder in deutschen Medien.]

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