Warum in Kollegah-Songs kein Antisemitismus steckt aber Rapfans und Mainstream oft aneinander vorbeireden

Große Teile der Öffentlichkeit sind sich einig: Deutschrap hat ein Antisemitismus-Problem. Und das heißt Kollegah. Zwei Linguisten haben sich nun auf die Suche nach Judenfeindlichkeit in den Texten des Düsseldorfer Rappers gemacht. Und keine gefunden.

Aber von vorn. Unter dem Titel “Diffamierungen, Humor und Männlichkeitskonstruktion. Eine linguistische Perspektive auf Farid Bang und Kollegahs Album JBG 3” haben die beiden Heidelberger Germanisten Sven Bloching und Jöran Landschoff die Texte des im Dezember 2017 erschienenen und besonders kritisierten “Jung Brutal Gutaussehend 3” von Farid Bang und Kollegah untersucht.

Für das mittlerweile indizierte Album hatten die Düsseldorfer Battlerapper im April 2018 noch den Musikpreis ECHO erhalten. Wegen einzelner von vielen als antisemitisch empfundenen Textzeilen begann daraufhin eine wochenlange mediale Debatte, die schließlich zur Abschaffung des ECHO führte und die generelle Debatte über Antisemitimus im Deutsch-Rap befeuerte.

“Der angedrohte oder vulgär explizierte Geschlechtsakt des lyrischen Ichs mit der Mutter eines Konkurrenten soll den Rapper hierarchisch über den Gegner stellen und ihn entehren”

Die Frage, ob sich der Antisemitismus-Vorwurf anhand der Texte tatsächlich belegen lässt, haben die Heidelberger Forscher auf mehrere Arten zu beantworten versucht. Zum einen haben sie eine “quantitative Analyse” aller Anfeindungen auf dem Album durchgeführt. Das heißt: Sie haben gezählt, welche Gruppen wie oft beleidigt wurden.

Die über 200 Anfeindungen kategorisierten sie nach Opfergruppen. So richteten sich zum Beispiel rund 2 Prozent der Diffamierungen gegen “Übergewichtige/ Mollige”, 5 Prozent trafen “Personen des öffentlichen Lebens”, wie zum Beispiel den TV-Moderator Joko Winterscheidt oder die Komikerin Carolin Kebekus:

Carolin Kebekus macht auch paar Witze
Doch wer dich Nutte fickt, ist zu faul zum Wichsen

Farid Bang in “Sturmmaske auf”

Zu den beliebteren Opfergruppen zählten mit 9 Prozent “Gewaltopfer und ethnische Minderheiten” und mit 23 Prozent Frauen, was sich u.a. aus der häufigen Verwendung des Wortes “Bitch” ergebe. Gezählt haben die Forscher allerdings auch die Erwähnung des Wortes “Mutter”, da dies vor allem in einem Kontext geschehe, den die Forscher folgendermaßen beschreiben:

… der angedrohte oder vulgär explizierte Geschlechtsakt des lyrischen Ichs mit der Mutter eines Konkurrenten soll den Rapper hierarchisch über den Gegner stellen und ihn entehren.

Die mit Abstand größte Opfergruppe befindet sich allerdings im direkten Umfeld von Kollegah und Farid Bang. 51 Prozent der Anfeindungen auf “JBG 3” zielten auf andere Rapper. Besonders häufig traf es dabei den Berliner Rapper Bushido und den aus Hamburg stammenden Rapper Laas Unltd:

Ich zieh‘ Butterflys und Laas kann nicht ma‘ mehr geh’n
Denn der King sticht in die Sehn’n wie’n Schiffskapitän

Kollegah in “Sturmmaske auf”

Den Forschern zufolge handelten die Texte vor allem von “Gewaltexplikationen und Subordinationshandlungen gegen andere Rapper, Frauen und Opfer von Gewalt und sozialer Benachteiligung.” Eine Häufung antisemitischer Textzeilen konnten sie hingegen nicht ausmachen. Ihr Fazit: “Im Kontext dieser Analyse liegt die Vermutung eines systematischen Antisemitismus allerdings fern.”

“Ein Muster, wie es in den Texten des Albums und im Battle-Rap allgemein, wenn auch nur äußerst selten derart geschmacklos und grausam, häufig zu finden ist.”

Ihre Aussage stützen die Autoren der Analyse “Sprachreport” außerdem mit einer Analyse der Textzeilen, für die Farid Bang und Kollegah vor allem in der Kritik standen. Im Song 0815 singen die beiden:

Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet
Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen
Ich tick’ Rauschgift in Massen, ficke Bauchtaschen- Rapper
Wenn ich will, macht Genetikk ein Auslandssemester

Farid Bang in “0815”

Die Zeilen bewerten die Studienmacher zwar als “zynisch und diffamierend”, verweisen aber darauf, dass sie sich derselben Stilmittel wie Gewaltfantasien, Tabubrüchen und humoristische Wortspielen (z.B. “definiert” als “muskulös” und “ausgehungert”) wie sie das ganze Album durchziehen.

Die Abwertung von Frauen, Übergewichtigen oder wie in diesem Fall Opfern des Holocaust sei kein Selbstzweck, sondern diene dabei stets der Überhöhung der eigenen Person: “Ein Muster, wie es in den Texten des Albums und im Battle-Rap allgemein, wenn auch nur äußerst selten derart geschmacklos und grausam, häufig zu finden ist.”

Umwickel’ den Basey mit Stacheldraht
Bitch, wir sind back und die Szene wird akkurat rasiert wie’n Kanakenbart 
Massaker, mach Platz für die zwei, massiges Fleisch im Nackenbereich 
Keiner darf Laas dissen? Okay, dann ramm’ ich ihm Butterflys rein

Kollegah in “Sturmmaske auf”

“Das Dissen wird in der internationalen Rap-Kultur als eine Art Spiel gesehen”

Die Frage, warum ein und dieselben Textzeilen gleichzeitig zu Verkaufsrekorden und Boykottaufrufen führen, beantworten die Forscher mit einem grundlegenden Wahrnehmungsunterschied zwischen Rap-Fans und breiter Öffentlichkeit.

Der kunstvoll verpackte “Diss” des Gegenübers werde in der Rap-Kultur als Spiel betrachtet, dessen Inhalt nicht wörtlich zu nehmen sei. Viele Rap-Fans hätten diese Regeln allerdings so sehr verinnerlicht, “dass sie diese selbst dann als gegeben voraussetzen, wenn die Diffamierungen Personen und Personengruppen weit jenseits der Subkultur betreffen”.

Auf der anderen Seite sei die breite Öffentlichkeit “mit diesen Spielregeln(…) nicht vertraut, weshalb sie die Textzeilen wörtlich und dementsprechend durchaus ernst nehmen müssen”. Einen Weg aus dem Dilemma können die Sprachwissenschaftler allerdings auch nicht weisen.

Die Studie im “Sprachreport” ist übrigens nicht die erste, die mit dem Klischee vom dumpfen Battlerapper bricht. Im Jahr 2015 hatte der Radiosender Puls des Bayerischen Rundfunks eine Studie zum Wortschatz deutscher Rapper in Auftrag gegeben. In der Untersuchung mit dem Titel “Wer hat den Größten” belegte damals Kollegah den zweiten Platz – knapp hinter dem Leipziger Rapper Morlockk Dilemma und knapp vor Johann Wolfgang von Goethe.

Das Aufmacherbild zeigt zwei Kontrahenten bei der Urform des Battlerap, dem “Flyting”. Ziel des vor allem im Schottland des 15. und 16. Jahrhundert verbreiteten lyrischen Schlagabtauschs war es, den Gegner in Versform zu beleidigen. Ob dies damals auch schon Antisemitismus-Debatten zur Folge hatte, ist nicht bekannt.

3 Kommentare On Warum in Kollegah-Songs kein Antisemitismus steckt aber Rapfans und Mainstream oft aneinander vorbeireden

  • “Die Studie im „Sprachreport“ ist übrigens nicht die erste, die mit dem Klischee vom dumpfen Battlerapper bricht.”

    Wie kann man nur so ein falsches Fazit ziehen, nachdem man zuvor alle erdenklichen Ekelhaftigkeiten aufgelistet hat?

    “Die über 200 Anfeindungen kategorisierten sie nach Opfergruppen. ”
    ” wer dich Nutte fickt, ist zu faul zum Wichsen”
    “Zu den beliebteren Opfergruppen zählten mit 9 Prozent „Gewaltopfer und ethnische Minderheiten“ und mit 23 Prozent Frauen.”
    “Den Forschern zufolge handelten die Texte vor allem von „Gewaltexplikationen und Subordinationshandlungen gegen andere Rapper, Frauen und Opfer von Gewalt und sozialer Benachteiligung.“”

    “Die Abwertung von Frauen, Übergewichtigen oder wie in diesem Fall Opfern des Holocaust sei kein Selbstzweck, sondern diene dabei stets der Überhöhung der eigenen Person.” Macht es das besser? Nein!

    Wird Antisemitismus weniger schlimm, weil die Hasstiraden häufiger Frauen und Gewaltopfer und Behinderte (man verdeutliche sich das mal, welche Gruppen sich die starken Männer aussuchen um ihr Ego aufzubauen) treffen als Juden? NEIN.

    Und jetzt stell dir nochmal die Frage lieber Fabian, ob du darin immer noch das Brechen des Kischees vom dumpfen Rapper finden kannst:
    “Die Studie im „Sprachreport“ ist übrigens nicht die erste, die mit dem Klischee vom dumpfen Battlerapper bricht.”

  • Die oft zitierte Zeile “Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen” ist überaus geschmacklos, aber nicht antisemitisch. Was aber den Texter nicht entlastet. Schlimm, dass die Gewaltverherrlichung in den Rap-Songs erst durch die Behauptung eines vermeintlichen Antisemitismus ihre mediale Wahrnehmung erfuhr.

  • “… der angedrohte oder vulgär explizierte Geschlechtsakt des lyrischen Ichs mit der Mutter eines Konkurrenten soll den Rapper hierarchisch über den Gegner stellen und ihn entehren.”

    Leider haben die beiden Germanisten null Plan von HipHop, denn das ist alles in allem kein Battlerap und noch viel weniger eine “fronted punchline” sondern überhaupt der größtmögliche Bitchmove, um ein direktes Rap-battle zu vermeiden.

    Das hier ist richtiger Battlerap inkl. einer “Ich fick deine Mutter Slang” Killerpunchline:

    ,,Na, wat is’n los, Kleiner?
    Deutsche Rapper haben Ghostwriter
    Machen auf der Bühne auf Tae-Bo-Fighter
    Alle nur noch Statements und so weiter, eh
    In der Schwulenszene kennt man sie
    Weil sie gern ein viel zu kleines Hemd anzieh’n
    Doch ich hab’ kein Mitleid, keine Empathie
    Bis eines Tages meine Seele aus dem Fenster fliegt, eh
    Und du willst dann noch ein Huhn mit mir rupfen
    Doch ich kann dir nur anbieten, meine Schuhe zu putzen
    Um mich aufzuhalten, musst du besser Kugeln benutzen
    Keine Gegner, alles Huren und Nutten
    Und dann hör’ ich diesen Song
    Und da disst er mich, denn mein Erfolg macht ihm schlechte Laune
    Ist okay, doch lass die Mutter aus’m Spiel
    Oder meine Mutter haut deiner Mutter auf die Schnauze” -Sido verse aus “Savas&Sido feat. Lakman – Neue Welt”
    https://youtu.be/Yl8GS1l6UJc

    peace

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