Islamistischer Terror: 12 Prozent Anschläge, 44 Prozent Aufmerksamkeit

Als Darren Osborne in der Nacht vom 19. zum 20. Juni sein Auto in eine Menschenmenge steuerte, war es für die Bewohner Londons bereits das dritte Mal in diesem Jahr, dass Extremisten mit Fahrzeugen auf Menschenjagd gingen. Doch obwohl auch der Angriff auf Muslime vor der Londoner „Finsbury Park-Moschee“ wie die Anschläge zuvor tödlich endete und die britische Regierung den Angriff umgehend als Terroranschlag einstufte, war diesmal etwas anders.

Anders als die Islamisten vom 22. März und 4. Juni schaffte es Islamhasser Osborne nicht in Vollformat auf die Titelseiten britischer Medien, war vielen britischen Zeitungen die Todesfahrt Osbornes lediglich eine Schlagzeile unter vielen wert.

Der Frage, wie sich die mediale Berichterstattung über islamistische und nicht-islamistische Anschläge unterscheidet, sind nun zwei amerikanische Kommunikations- und Terrorismus-Forscher nachgegangen. Mit Blick auf die Berichterstattung in den USA haben sie Anschläge und Medienberichte ausgewertet und kamen zu einem eindeutigen Ergebnis: Über Attentäter, die als muslimisch gelten, werde 449 Prozent häufiger berichtet als über nicht-muslimische Attentäter.

Verantwortlich für die Untersuchung sind Erin M. Kearns, Konfliktforscher an der Georgia State University und Anthony Lemieux, Professor für „Global Studies and Communication“ ebenfalls an der Georgia State University. Für ihre Studie haben sie sämtliche Terroranschläge in den USA zwischen 2011 und 2015 ausgewertet. Dabei haben sich die Forscher an der Terrorismus-Definition des amerikanischen Heimatschutz-Ministeriums und dessen „Global Terrorism Database“ orientiert.

Islamistische Anschläge bekommen fünf- bis sechsmal so viel Aufmerksamkeit wie nicht-muslimische

Kearns und Lemieux zählten 89 Anschläge auf amerikanischem Boden. Anschließend untersuchten sie, wie viel mediale Aufmerksamkeit die Angriffe jeweils bekommen hatten. Dabei zählten sie jeden Beitrag, der sich mit dem Anschlag selbst, den Opfern oder den Tätern befasst und kamen auf insgesamt 2.413 Berichte.

Während 24 Anschläge gar keine Erwähnung fanden, befasste sich fast jeder zweite Medienbeitrag (44 Prozent) mit Anschlägen durch Muslime. Und das obwohl lediglich 12 Prozent der Anschläge von Muslimen begangen wurden. Noch größer fällt die Diskrepanz bei Anschlägen durch Muslime aus, die im Ausland geboren wurden. Zwar entfielen nur 5 Prozent der Anschläge auf diese Tätergruppe, aber 32 Prozent der Medienberichte.

Die Forscher weisen allerdings darauf hin, dass nicht nur das Label „islamistisch“ für die Intensität der Berichterstattung ausschlaggebend sei. So schlage sich auch der Erfolg der Strafverfolgung in der Anzahl an Artikeln wider: Über Täter, die nicht verhaftet oder angeklagt werden, wird auch seltener berichtet. Mehr Aufmerksamkeit erhielten außerdem Anschläge auf Regierungseinrichtungen. Zudem würden Medien umso häufiger berichten, je „blutiger“ ein Anschlag verlaufe. Doch selbst wenn man diese Faktoren herausrechnet, seien mutmaßlich islamistische Anschläge dennoch noch deutlich höher repräsentiert.

Auf jeden islamistischen Anschlag kommen zwei durch Rechtsextremisten

Die Ergebnisse von Kearns und Lemieux passen zu einer zweiten Studie, die Ende Juni dieses Jahres veröffentlicht wurde. Der Zusammenschluss von Investigativ-Journalisten „The Center for Investigative Reporting“ hatte ebenfalls Terroranschläge untersucht. Die Reporter wollten wissen, wer ist gefährlicher: Islamisten oder Rechtsextremisten? Anders als das Team von der Georgia State University hatten die Journalisten dabei auch Anschläge berücksichtigt, die zwar geplant aber nicht umgesetzt wurden.

Für den Zeitraum 2008 bis 2016 stießen sie auf insgesamt 201 geplante oder ausgeführte Anschläge. In 115 Fällen steckten Rechtsextremisten dahinter, in 63 Fällen Islamisten. Abgeschlagen auf Platz drei landeten Linksradikale wie beispielsweise militante Tierrechtsaktivisten mit 19 Anschlägen. In ihrer Auswertung schreiben die Reporter: „Die Ergebnisse sind dramatisch: Rechtsextreme Verschwörungen und Anschläge übertreffen islamistische Vorfälle nahezu im Verhältnis 2:1.“

Laut Trump verschweigen Medien islamistischen Terror

Die Reporter haben außerdem untersucht, wie tödlich die Gefahr durch Islamisten und Rechtsextremisten jeweils für US-Bürger ist. Dabei kamen sie zu keinem eindeutigen Ergebnis: So forderten islamistischen Anschläge in den USA in den vergangenen neun Jahren insgesamt mehr Menschenleben (90) als rechtsextremen Attentate (79). Der Anteil tödlich verlaufender Anschläge sei wiederum bei den Rechtsextremisten höher. So habe fast jeder dritte rechtsextreme Anschlag Todesopfer gefordert, bei islamistischen Attentaten kamen „nur“ in 13 Prozent der Fälle Menschen ums Leben. .

Die Debatte über die Rolle von Medien bei der Terrorberichterstattung war in den letzten Monaten nicht nur infolge der Anschläge von London in Gang gekommen. Anfang Februar hatte US-Präsident Donald Trump bei einer Rede vor Vertretern der US-Army Medien vorgeworfen, islamistische Terroranschläge vorsätzlich zu verschwiegen: Mit Blick auf die Anschläge in Paris und Nizza sagte er damals: „Wir sind an einem Punkt angeklagt, an dem es nicht einmal mehr berichtet wird. Und in vielen Fällen will die sehr sehr unehrliche Presse nicht berichten.“

Die beiden US-Studien zeichnen nun ein ganz anderes Bild. Als Fazit schreiben die beiden Forscher der Georgia State University: „Da sich Medien so unverhältnismäßig auf Angriffe durch Muslime, vor allem im Ausland geborene Muslime, konzentrieren, verwundert es nicht, dass viele Amerikaner denken, dass diese Gruppen unser Land weniger sicher machen.“

[Das Aufmacherfoto zeigt eine Mauer am Londoner Finsbury Park, an der Menschen nach dem Attentat vom 20. Juni Blumen niedergelegt haben. Gemacht hat es Shaimaa Khalil.]

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