Alle Araber finden den IS gut – bis auf 97%

Jeder Flüchtline aus dem Nahen Osten ist eine tickende Zeitbombe. Die arabische Welt gleicht einem Wespennest des globalen Dschihadismus. Der Islamische Staat ist ein Sammelbecken für die Ausgestoßenen und Verzweifelten kranker arabischer Gesellschaften. So lauten ein paar der Klischees, die hierzulande nicht erst seit den den Anschlägen Würzburg und Ansbach Hochkonjunktur haben.

Gute Studien darüber, wie viele Araber tatsächlich Sympathien zum IS hegen, gab es bisher hingegen nicht. Das hat sich jetzt geändert: “Arab Barometer” nennt sich die Befragung von tausenden Menschen in über einem Dutzend nahöstlicher und nordafrikanischer Länder. Mit ihr kreieren Forscher der University Princeton und Michigan und der “Arab Reform Initiative” seit 2006 ein politisches Stimmungsbild der arabischen Welt: Was halten Marokkaner von der Gleichberechtigung von Mann und Frau? Wie stehen Tunesier zur Demokratie? Was denken Ägypterinnen über den gescheiterten Arabischen Frühling in ihrem Land? Wie halten es Palästinenser mit islamistischen Bewegungen?

Zwischen 99,6 und 93,6 Prozent sind gegen den Islamischen Staat

Einige der Ergebnisse der vierten Befragungswelle haben die Forscher nun vorab in der Washington Post veröffentlicht. Zum ersten Mal haben sie diesmal auch in einigen Ländern nach Einstellungen zum Islamischen Staat gefragt. Von den Befragten in Marokko, Algerien, Tunesien, Palästina und Jordanien wollten die Forscher wissen:

  • Inwiefern stimmt die Bevölkerung den Zielen des Islamischen Staates zu?
  • Wie groß ist der Prozentsatz an Menschen, der die Anwendung von Gewalt durch den Islamischen Staat unterstützt?
  • Und wie viele der Befragten sind der Meinung, dass sich die Handlungen des IS mit dem Islam vereinbaren lassen?

Das Ergebnis: In allen Ländern sind Menschen, die mit dem IS in der einen oder anderen Weise sympathisieren, in der absoluten Minderheit. Mit 0,4 Prozent der Befragten ist der Anteil der Befragten, die die Ziele des IS teilen, in Jordanien am geringsten. Prozentual am meisten Sympathisanten kann der IS noch in den Palästinensischen Gebieten hinter sich versammeln. Aber auch in Westbank und Gaza unterstützen nur 6,4 Prozent der Befragten die Ziele des IS.

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Auch junge dumme Männer sind nicht besonders anfällig für den IS

Noch geringer ist die Zugstimmungsrate bei der Frage nach der Anwendung von Gewalt. Mit 0,4 Prozent der Befragten liegt Marokko am Ende der Skala. Die größte Affinität zum IS zeigen erneut Palästinenser: 5,4 Prozent unterstützen die Gewaltakte des IS. Etwas höher ist die Zustimmungsrate hingegen bei der Frage nach Vereinbarkeit von IS-Taktik und Islam. Zwischen 1 (Jordanien) und 8,9 Prozent (Palästina) haben der Frage zugestimmt und damit deutlich mehr Menschen als den IS unterstützen.

Zusätzlich zur Gesamtbevölkerung haben die Forscher jenen Teil der Gesellschaft gesondert ausgewertet, der ihrer Meinung nach besonders dem Rekrutierungschema des IS entspricht: jung, männlich und schlecht gebildet. Aber auch in dieser Gruppe gibt es der Studie zufolge keine signifikant höhere Zustimmung zum IS:

“Stellt man die Antworten von männlichen Befragten unter 36 Jahren und einem Schulbildung unterhalb der Sekundarschule heraus, zeigt sich, dass selbst in dieser Schlüsselgruppe nur geringe Unterstützung für die Ziele und Anwendung von Gewalt durch den IS besteht und nur wenige die Taktiken des Islamischen Staates für vereinbar mit den Lehren des Islam halten.”

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Das beste an den Zahlen: Es sind Zahlen

Eine Ausnahme gibt es allerdings: Tunesien. Mit 14,9 Prozent liegt der Anteil bei jungen ungebildeten Männern, die die Taten des IS mit dem Islam für vereinbar halten, in dem nordafrikanischen Land deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung (8,6 Prozent). Dass ausgerechnet jenes Land, welches als einziges den Arabischen Frühling für eine Demokratisierung nutzen konnte, besonders viele seiner Bürger an den IS verliert, haben auch schon andere Untersuchungen bestätigt: Laut tunesischem Innenministeriums haben sich zwischen 2011 und 2014 rund 2400 Bürger des Landes der Terrormiliz angeschlossen. Eine Untersuchung der Vereinten Nationen kam im Juli 2015 sogar auf eine Zahl von bis zu 5000 Tunesiern.

Bleibt die Frage: Ist das viel oder wenig? Selbst im Fall von Jordanien, wo nur 0,4 Prozent der Bevölkerung den Zielen des IS zustimmen, sind das immerhin 260.000 Personen. 260.000 potenzielle Kopfabschneider? Sicherlich nicht. Wer auf solche Werte seine Terrorangst begründet, sollte noch viel mehr Angst vor seinen deutschen Mitbürgern haben. Wie die zu Gewalt und menschenverachtenden Ideologien stehen, hat zuletzt die Mitte-Studie gezeigt.

Bemerkenswert an den Zahlen der Forscher ist hingegen etwas anderes: Es sind Zahlen. Erstmals gibt eine wissenschaftlich fundierte repräsentative Studie Auskunft über die IS-Affinität von Menschen in Nordafrika. Und das ist allemal eine besser Grundlage, um über Flüchtlinge und Terrorangst zu diskutieren, als die Mutmaßungen von Rechtspopulisten.

[Das Aufmacherbild zeigt ein Gemälde des kurdischen Künstlers Rostam Aghala. Zu sehen sind Frauen unter der Herrschaft des Islamischen Staates.]

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