Abendlandchroniken vom 18. April 2021

Wegen technischen und gesundheitlichen Problemen mussten die Abendlandchroniken (und der Rest des Blogs) für einige Wochen aussetzen. Fast rechtzeitig zum Ramadanbeginn geht es erholt und im neuen Design weiter. Gut so. Denn der islamische Fastenmonat ist nicht nur für Muslim:innen eine besondere Zeit, auch Islamfeinde zelebrieren ihn alljährlich mit großer Hingabe.

Auf rechten Blogs, AfD-Accounts und in Telegram-Gruppen laufen die Vorbereitungen schon seit Wochen. Zum Beispiel mit folgender Verschwörungstheorie: Die Bundesregierung plane anlässlich des Ramadan, die Corona-Regeln zu lockern. Warum? Islamisierung natürlich!

Ramadan-Gruß in der Telegram-Gruppe von Ex-Tagesschau-Sprecherin Eva Herman

Der Haken an der Geschichte: Die Bundesregierung hat zum Ramadan gar keine Regeln gelockert. Die Corona-Maßnahmen bleiben für Muslim:innen so streng wie für alle andere Menschen auch. (Dieselbe Debatte mit demselben Ergebnis gab es letztes Jahr übrigens auch schon. Der Faktenfinder der Tagesschau hat sie damals zusammengfefasst.)

Nein, Kirchen müssen nicht wegen Muslimen schließen

Von Fakten lässt sich auch die BILD die jährliche Ramadan-Hetze nicht vermasseln und nimmt die muslimische Fastenzeit zum Anlass für kulturkämpferische Fakenews. Leser:innen erfuhren dort, dass die Bundesregierung plane, zum Ramadan neben Moscheen auch Kirchen und Synagogen zu schließen. Der angebliche Grund: Muslime, die sich nicht an Hygiene- und Abstandsregeln halten können. Bildblog hat überprüft, was an der Story dran ist (Spoiler: nichts).

Und täglich grüßt die Islamisten-Story

Wo wir gerade bei erwartbaren Springer-Kampagnen gegen muslimische Teilhabe in Deutschland sind. Die WELT hat wieder einen Islamisten entdeckt. Nein, nicht so einen mit Sprengstoffgürtel, Umsturzplänen oder wenigstens Hasspredigen. Um von der WELT zum Islamisten gemacht zu werden, reicht Folgendes:

  • eine:n Muslim:in, der:die kürzlich in irgendeine öffentlich exponierte Position berufen wurde (als Opfer)
  • ein paar kaum belegte Mutmaßungen, z.B. über Verbindungen zu einem islamistischen “Aktionsgeflecht” (gibt’s das eigentlich auch bei Nicht-Muslimen?) oder Kontakten zum “Umfeld der Muslimbruderschaft” (besser noch: “Umfeld der Hamas”)
  • ein paar inszeniert empörte Politiker-Kommentare; irgendein CDU-Hinterbänkler findet sich immer
  • irgendein uralter aus dem Kontext gerissener und möglichst tendenziös untertitelter Social-Media-Post
  • die Mitgliedschaft des Opfers in einem Verein oder der Kontakt zu einer Person, der oder die auf dieselbe Weise zu einem früheren Zeitpunkt bereits als “islamistisch” gelabelt wurde
  • das Ignorieren allen Engagements, mit dem der oder die Beschuldigte hauptsächlich seine Zeit verbringt

Fertig ist die Islamisten-Story mit monatlicher Recycle-Garantie. In dieser Episode ging es übrigens um Mohamad Hajjaj, der in die Berliner “Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus” berufen wurde und ansonsten den Verein Inssan leitet.

Außerhalb von Springer-Redaktionen kennt man Inssan vor allem für zahlreiche Projekte, die sich für die Stärkung muslimischer Gemeindearbeit und die Integration von Flüchtlingen sowie gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen. Mit Islamismus hat das alles nichts zu tun, umso mehr aber mit der Gleichberechtigung und Teilhabe von Muslim:innen in Deutschland. Das wiederum zeigt, worum es der WELT und einigen anderen Medien mit ihrem Islamismus-Storys in Wirklichkeit geht.

Zwar gibt es nicht einmal den Vorwurf, dass Mohamad Hajjaj irgendetwas mit der Hamas zu tun hat. Das hindert den Tagesspiegel aber nicht daran, seinen Beitrag zu ihm mit diesem Foto zu bebildern.

Muslime als fünfte Kolonne des Kapitals

Dass Islamfeindlichkeit ein Phänomen jenseits (partei)politischer Grenzen ist, zeigte diese Woche Sahra Wagenknecht. Verrisse über das Bild, das die Linken-Politiker in “Die Selbstgerechten” von “Linksliberalen” und Minderheiten im Allgemeinen zeichnet, wurden schon viele geschrieben. Darum soll es hier nicht gehen. Stattdessen werfen wir einen Blick auf ihre Darstellung von Muslim:innen.

Fast 50 Mal kommen „Islam“, „Muslime“ und verwandte Begriffe in ihrem diese Woche veröffentlichten Buch vor. Alle Erwähnungen sind negativ. Keine einzige Stelle vermittelt ein neutrales oder positives Bild. Im Gegenteil: Treten Muslim:innen nicht gerade als Islamisten, Terroristen oder Integrationsverweigerer auf, bilden sie entweder eine Art fünfte Kolonne des Kapitals, um die Solidarität der weißen einheimischen Arbeiterschaft zu brechen oder sie dienen als Beleg fehlgeleiteter linker Solidarität.

Das klingt zum Beispiel so:

Dass die Ermutigung religiöser Gefühle ein probates Mittel zur Spaltung von Belegschaften ist, wurde relativ früh erkannt. Bereits in den späten siebziger Jahren, als eine Streikwelle die Autofabriken in Großbritannien lahmlegte, ermunterte die Regierung das Management, den islamischen Glauben zu stärken und Gebetsräume einzurichten, um die Moslems von der Teilnahme an gemeinsamen Aktionen mit ihren nichtmuslimischen Kollegen abzuhalten.

oder so:

Und die Islamisten haben erstaunlich schnell gelernt, auf der Klaviatur des identitätspolitischen Opferdiskurses zu spielen. Wer Hassprediger kritisiert und gar Verbote fordert, steht unversehens als »islamophob« oder gar als Vertreter eines »antiislamischen Rassismus« am Pranger.

Einige weitere Passagen aus “Die Selbstgerechten”, die eher an Sarrazin als an eine Linken-Spitzenkandidatin erinnern, habe ich hier aufgeschrieben.

Wie man mit Hassrede auch umgehen kann

Während Sahra Wagenknechts Buch derzeit die Bestseller-Listen nach oben wandert, hatte eine andere islamophobe Veröffentlichung vergangene Woche weniger Erfolg. Unter der Überschrift „Europas Freiheit schützen – Politischen Islam stoppen!“ veröffentlichten auf dem Portal Change.Org einige prominente Islamfeinde eine Petition, die vor allem vorsah, Freiheiten einzuschränken.

Unter anderem die Ethnologin Susanne Schröter, die Soziologin Necla Kelek, die Ex-Muslimin Mina Ahadi sowie mehrere Mitglieder von Terre des Femmes machten sich dort für die Einführung einer säkular-fundamentalistischen Kleiderordnung (Kopftuchverbot) und die Verbannung muslimischer Frauen aus öffentlichen Positionen stark.

Man wolle “die Abwehr des islamischen Fundamentalismus nicht mehr den Rechtsextremen überlassen” hieß es in der Petition. Change.Org übernahm stattdessen die Abwehr des anti-islamischen Fundamentalismus und löschte die Petition wegen “Hassrede”.

Wollt ihr mehr Beiträge wie diesen? Dann unterstützt Schantall und die Scharia finanziell: einmalig via PayPal oder regelmäßig per Steady.

schreib einen Kommentar:

Your email address will not be published.

Site Footer