Angefeindet, Angegriffen, Alleingelassen

Attacken auf Moscheen gehören in Deutschland zum Alltag. Eine Untersuchung der Dokumentationsstelle brandeilig zeigt nun: Die Probleme für Betroffene halten auch dann noch an, wenn die Angreifer längst verschwunden sind.

Hier eine eingeworfene Fensterscheibe, da ein Brandsatz, dort ein abgelegter Schweinekopf. Tags darauf eine kleine Notiz in der Lokalzeitung – wenn überhaupt. Aus dem Rathaus eine knappe Mitteilung der Betroffenheit und, dass die Stadt natürlich bunt und vielfältig sei. Konkreter wird es nicht. Konkret ist dafür die Mitteilung der Versicherung, dass man den Schaden nicht ersetzen könne. Einige Monate später ein Brief der Staatsanwaltschaft, die den Angreifer auch diesmal nicht hat ausfindig machen können. Und bald schon geht die Sache von vorn los.

So in etwa spielt sich ein typischer Moscheeangriff in Deutschland ab. Etwa einen Angriff pro Woche gab es laut Polizeilicher Kriminalstatistik im vergangenen Jahr. Die Dunkelziffer geht aus der Statistik freilich nicht hervor – ebenso wenig, wie die Probleme, mit denen Betroffene oft auch noch Jahre später zu kämpfen haben. Auch Studien zu Ausmaß und Folgen solcher Angriffe gab es bisher kaum. Zumindest diese Lücke wurde nun ein Stück weit geschlossen.

Die Initiative brandeilig.org hat 120 Moscheeangriffe aus dem Jahr 2018 genauer untersucht und Interviews mit 68 Vorständen betroffener Moscheen geführt. Ihre Untersuchung dokumentiert erstmals, wie Moscheegemeinden nach den Angriffen ein zweites Mal zu Opfern werden und wie Medien, Behörden und Politik die Betroffenen islamfeindlicher Gewalt alleinlassen.

So stoßen die Betroffenen nach den Angriffen bei den zuständigen Behörden oftmals auf Desinteresse. In jedem zweiten Fall seien Polizisten gar nicht am Tatort erschienen, sondern hätten sich nur postalisch oder telefonisch bei den betroffenen Moscheen gemeldet. Und das, obwohl jede zweite Gemeinde nach eigener Auskunft bereits mehrmals Ziel von Angriffen wurde. Auch zu Ermittlungserfolgen kommt es der Untersuchung zufolge nur in Ausnahmefällen. Tatverdächtige seien selbst in jenen Fällen nicht ermittelt worden, bei denen sie auf Aufnahmen von Überwachungskameras klar zu erkennen gewesen waren oder selbst Videos von sich ins Netz gestellt hätten. Lediglich in zwei Fällen habe es Verurteilungen gegeben.

Die Aussagen der befragten Moscheevorstände decken sich mit offiziellen Zahlen: 171 islamfeindliche Delikte dokumentierte das Bundesinnenministerium für das vierte Quartal 2021. Ermittlungsverfahren oder Verurteilungen gab es in diesem Zusammenhang im selben Zeitraum keine einzige.

Was es stattdessen immer wieder gibt, sind Versprechen von Politikern, entschiedener gegen antimuslimische Gewalt vorzugehen. Schon Anfang 2020 – nachdem ein Rechtsterrorist im neuseeländischen Christchurch 51 Moscheegänger ermordet hatte, versprach der damalige Innenminister Hors Seehofer, Moscheen in Deutschland stärker zu schützen. Es blieb beim Versprechen.

In ihrem Koalitionsvertrag versprach auch die Ampel-Regierung, „der zunehmenden Bedrohung von Musliminnen und Muslimen und ihren Einrichtungen durch umfassenden Schutz, Prävention und bessere Unterstützung der Betroffenen zu begegnen.“ Konkrete Maßnahmen bleiben SPD, Grüne und FDP bis heute schuldig.

Horst Seehofers Nachfolgerin Nancy Feaser gab zwar zum Amtsantritt bekannt, die Opfer von Rechtsextremismus stärker schützen zu wollen, doch an Muslime und Musliminnen scheint auch die SPD-Politikerin dabei nicht gedacht zu haben. Der von Feaser im Juni dieses Jahres vorgestellte Verfassungsbericht widmet sich auf mehr als 50 Seiten realen oder vermeintlichen islamistischen Gefahren. Hinweise darauf, dass Muslime nicht nur Täter, sondern auch Opfer von Extremismus und Gewalt werden können, finden sich in dem Bericht lediglich in einigen wenigen Nebensätzen.

Zumindest in Berlin schien man bei dem Thema etwas weiter zu sein. Anfang 2021 nahm dort die neugegründete “Expertenkommission Antimuslimischer Rassismus” ihre Arbeit auf. Bis Februar 2022 sollte diese eine „Präventionsstrategie“ gegen islamfeindliche Gewalt und Diskriminierung entwickeln. Doch eine „Präventionsstrategie“ hat die Kommission bis heute ebenso wenig vorgelegt wie irgendwas anderes.

Dass sich das politische Interesse in Deutschland am Thema antimuslimische Gewalt in engen Grenzen hält, zeigen auch die Erfahrungen der Moscheegemeinen aus der brandeilig-Studie. Besuche von Bürgermeistern und anderen lokalen Politikerinnen – so berichten die interviewten Moscheevertreter – gebe es nur selten. Die stärkste Unterstützung erfahren betroffene Moscheen durch andere Moscheegemeinden und durch Vertreter türkischer Konsulate. Ähnliches zeigt sich bei der medialen Berichterstattung: Über jeden zweiten Moscheeangriff habe man gar nichts in der Presse lesen können.  Wenn berichtet werde, dann vor allem in ausländischen und nichtdeutschsprachigen Medien.

Auch diese Wahrnehmung lässt sich durch andere Untersuchungen untermauern. Studien unter anderem des „Global Studies Institute“ aus dem us-amerikanischen Atlanta (2020) sowie des Hamburger Medienwissenschaftlers Thomas Hestermann (2017) bestätigen: Über Menschen, die als muslimisch und/ oder migrantisch wahrgenommen werden, wird vor allem berichtet, wenn sie selbst Straftaten begehen. Muslimische Opfer hingegen kommen in vielen Redaktionen kaum vor.

Ein praktisches Anschauungsbeispiel für dieses Phänomen bietet ironischerweise die brandeilig-Studie selbst. Jenseits einiger kleiner Online- und Sparten-Medien interessierte sich kaum jemand für die Untersuchung. Einer Studie, die erstmals zeigt, wie folgenreich das Desinteresse an islamfeindlicher Gewalt ist, begegneten Medien, Öffentlichkeit und Politik vor allem mit Desinteresse.

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