Muezzin-Debatte: Die große Ahmad Mansour-Show

Wen lassen Medien zu Wort kommen, wenn mal wieder über Islam und Muslime debattiert wird? Eine Medienanalyse zeigt: Spätestens seit der Muezzin-Debatte dominieren islamfeindliche Verschwörungsideologen die Berichterstattung.

„Ruf des Schreckens… Vorauseilender Gehorsam… Machtdemonstration des Politischen Islam…“ Das sind einige der Überschriften, mit denen Medien im vergangenen Jahr über den Kölner Muezzinruf berichteten. Islamfeindliche Motive von Unterwerfung und Unterwanderung, die man eher von rechtextremen Blogs erwartet, prangten damals von einigen der größten Zeitungen des Landes. Aber sind das nur ein paar reißerische Ausnahmen von der ansonsten seriösen medialen Regel? Oder wird unsere Islamdebatte mittlerweile tatsächlich von islamfeindlichen Akteuren und verschwörungsideologischen Motiven dominiert?

1 Muezzinruf, 13 Monate Debatte, 325 Meinungen

Für das Medienmagazin Übermedien habe ich die Berichterstattung aus über einem Jahr Muezzin-Debatte ausgewertet: Angefangen am 8. Oktober 2021, als Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker bekannt gab, den Ruf des Muezzins auf Antrag und unter Auflagen genehmigen zu wollen. Über den 4. Oktober 2022, als die die DITIB-Zentralmoschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld bekannt gab, den Muezzinruf beantragen zu wollen. Bis zum langsamen Abebben der Debatte im November 2022. Berücksichtigt habe ich alle Artikel, die in dieser Zeit in den sechs größten überregionalen Zeitungen (BILD, Die Zeit, FAZ, SZ, Die Welt, taz) und den vier auf auflagenstärksten Zeitungen in und um Köln (Kölner Stadtanzeiger, Express, Westdeutsche Allgemeine Zeitung und Rheinische Post) erschienen sind.

Vor allem wollte ich wissen: Wen lassen Redaktionen jenseits nachrichtlicher Notwendigkeiten, also außer die unmittelbaren Beteiligte zu Wort kommen? Wen zitieren sie also nicht in der Rolle des Betroffenen oder Verantwortlichen, sondern als „Experten“? Das Ergebnis kurzgefasst: Neben Politikern (33%) ließen Medien vor allem Personen zu Wort kommen, die in der Öffentlichkeit für islamkritische oder islamfeindliche Statements bekannt sind (40%) – wie den Psychologen Ahmad Mansour, die Ethnologin Susanne Schröter oder die Soziologin Necla Kelek. Andere Fachleute wie Islamwissenschaftler, Theologen oder Juristen waren für 16 Prozent aller Äußerungen verantwortlich. Am seltensten kamen muslimische Vertreter zu Wort (11 Prozent).

Machtübernahme der Verschwörungsideologen

Vor allem eine Person dominierte den Diskurs: Ahmad Mansour allein kam in der Debatte dreimal so oft zu Wort (28x) wie alle Islamwissenschaftler, Theologen und Verfassungsrechtler (9x) gemeinsam. Die Positionen islamischer Verbände wurden in der Diskussion hingegen kaum gehört (6x DITIB, 6x ZMD, 1x IGMG).

Selbst wenn man zwei Äußerungen der Grünen-Abgeordneten Lamya Kaddor dem von ihr gegründeten Liberalen Islamischen Bund zurechnet, kamen alle Vertreter muslimischer Interessenvertretungen gemeinsam (15x) nur auf etwas mehr als halb so viele Zitierungen wie Ahmad Mansour allein. Dessen Omnipräsenz in der Debatte zeigt sich auch daran, dass seine Meinung zum Muezzinruf als einzige in allen untersuchten Medien zu lesen war.

Am Beispiel der Muezzin-Debatte lässt sich somit auch ein verbreiteter Mythos unseres Islamdiskurses widerlegen: Immer wieder wird der Vorwurf laut, den großen islamischen Verbänden würde in Medien zu viel Platz eingeräumt, während sogenannte „kritische“ oder „liberale“ Stimmen ungehört blieben. Ein Jahr Muezzin-Debatte zeigt: Das Gegenteil ist wahr. Islamfeindliche und islamkritische Personen dominieren den Diskurs.

Kollektive mediale Islamisierungsparanoia

Aber nicht nur die Häufigkeit, auch der Inhalt der islamkritischen und islamfeindlichen Äußerungen gibt Anlass zur Sorge: Während Befürworter des Muezzinrufs vor allem auf die Teilhabe von Muslimen, gegenseitige Respekt und Toleranz und die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit verwiesen, dominierten auf kritischer Seite verschwörungsideologische Erzählungen.

Äußerungen, die den Muezzinruf als Ausdruck einer vermeintlichen „Islamisierung“ oder zunehmenden Einflusses des „Politischen Islam“ werteten, machten rund die Hälfte der ablehnenden Statements aus (gefolgt von Warnungen vor dem Einfluss Erdoğans und dem Bruch des „gesellschaftlichen Friedens“).
Beispielhaft für die Debatte ist ein Statement von Ahmad Mansour, das die Nachrichtenagentur dpa am 12. Oktober 2022 verbreitete und das von vielen Medien abgedruckt wurde. In diesem bezeichnete Mansour den Muezzin-Ruf als „Machtdemonstration des Politischen Islam“ und behauptete: „Die Konservativen fühlen sich bestätigt, sehen dies als einen wichtigen Schritt hin zur Islamisierung Europas und werden immer mehr fordern.“

Solche Äußerungen sind auch deshalb problematisch, weil sie sich beliebig auf jedes Sichtbarwerden von muslimischer Religiosität übertragen und damit gegen muslimische Religionsausübung und Teilhabe insgesamt anführen lassen. Kritische Einordnungen solcher verschwörungsideologischen Thesen gab es in kaum einem Medium. Selbstkritische Reflektionen zu der Frage, warum Medien überhaupt ein Jahr lang über einen fünfminütigen Ruf diskutieren, der für Muslime weltweit selbstverständlich für Bewohner Köln-Ehrenfelds schon auf der nächsten Straßenseite nicht mehr hörbar ist, gab es leider auch nicht.

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